Nur die Gene sollen im Kühlschrank überleben

■ Erbgut indigener Völker soll erforscht werden / Gefahr rassistischen Mißbrauchs

Berlin (taz) – Auch wenn einige Völker schon längst vom Globus verschwunden sind – ihre Gene sollen in den Gefrierschränken der ForscherInnen aufbewahrt werden. Unter dem Titel „Human Genome Diversity-Project“ wollen WissenschaftlerInnen Haare, Blut und Wangenabstriche von Mitgliedern mehrerer hundert indigener Völker sammeln und genetisch analysieren. Ziel der knapp 25 Millionen Mark teuren Forschung ist es angeblich herauszufinden, in welcher Gegend die ersten Menschen lebten, wohin die Völker wanderten und mit wem sie sich mischten. Auch die unterschiedliche Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten soll untersucht werden.

Die Idee stammt von amerikanischen WissenschaftlerInnen, die seit Jahren an der kompletten Entschlüsselung der drei Milliarden DNA-Bausteine des menschlichen Erbguts arbeiten. Auch europäische Institute wollen sich an dem neuen Projekt beteiligen. Ein Komitee zur technischen und strategischen Koordinierung wurde inzwischen eingerichtet und hat bereits Forschungsgelder bei der EG beantragt. Die GentechnikerInnen drängen zur Eile: sie fürchten, daß ihre Forschungsobjekte aussterben, bevor sie sie untersuchen konnten.

Zumindestens formal hat das Projekt seine Arbeit noch nicht aufgenommen; aber nach Informationen der Europaparlametarierin Hiltrud Breyer sind bereits 722 gefährdete indigene Völker ausgewählt worden, und erste Sammlungen finden statt. Von jeweils 25 Mitgliedern einer als genetische Einheit definierten Gruppe sollen Proben genommen und innerhalb von zwei Tagen zu einem Forschungsinstitut transportiert werden. Für die Analysen, deren Kosten auf jeweils 500 Dollar veranschlagt werden, können sich die ForscherInnen dann Zeit nehmen: Sie rechnen damit, daß die Auswertung mehrere Jahrzehnte dauern wird.

GegnerInnen des Projekts kritisieren nicht nur den Zynismus, viel für den Erhalt der Gene und nichts für das Überleben der Völker selbst zu tun. Sie fürchten auch, daß die Ergebnisse rassistisch mißbraucht werden und NationalistInnen weiter Vorschub leisten. Außerdem könnten die Ergebnisse für biologische Waffen verwendet werden: wenn tatsächlich nur eine Ethnie eine bestimmte DNA-Sequenz hat, „besteht die reale Möglichkeit, gezielt ethnische Waffen zu entwickeln", so Breyer.

Ein starkes Interesse an der Forschung hat die Pharmaindustrie. Sie erhofft sich Erkenntnisse darüber, warum bei einigen Völkern bestimmte Krankheiten nicht auftreten. Um die Entdeckungen finanziell ausschlachten zu können, drängen die Konzernchefs darauf, daß auch menschliche Gene patentierbar sind. Die untersuchten Völker aber werden von diesen angeblichen Erfindungen natürlich nicht profitieren.

Die GentechnikerInnen versuchten kürzlich bei einem Workshop in Washington, ihre GegnerInnen zu beruhigen. Sie wollen einen Aufsichtsrat einsetzen, der nicht nur einen Überblick über alle Forschungsergebnisse halten, sondern auch rassistische Nutzung verhindern soll. Wie sie den Geist in der Flasche halten wollen, blieb allerdings ihr Geheimnis. Annette Jensen