■ Ökolumne
: Das China-Syndrom Von Reinhard Loske

In China, so lehrt uns die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke, liegen die Kosten zur Vermeidung einer Tonne des Treibhausgases CO2 sechsmal niedriger als in der Bundesrepublik. Und der Gesamtverband des Deutschen Steinkohlenbergbaus sekundiert, die Kohlekraftwerke im Reich der Mitte wiesen einen Wirkungsgrad von nur 20 Prozent auf, während die Anlagen hierzulande 35 bis 38 Prozent erreichten. Würden die deutschen Standards auf den Rest der Welt übertragen, ließen sich allein bei der Kohleverstromung eine Milliarde Tonnen CO2 einsparen – immerhin rund fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas.

Die Botschaft, die hinter diesen Zahlenspielen liegt, erschließt sich selbst dem Nicht-Ökonomen leicht: Bei uns in Deutschland wird verantwortungsvoll mit Energie umgegangen, während dies in anderen Teilen der Welt nicht der Fall ist. Warum also soll hier mit großem Finanzaufwand „übermäßig“ CO2 reduziert werden, wenn das gleiche in China, Indien oder Rußland wesentlich preiswerter zu haben wäre?

Tatsache ist, daß der Energieaufwand zur Erzeugung einer Einheit Sozialprodukt in China deutlich höher liegt als bei uns. Effizientere West-Technik könnte diesen spezifischen Energieverbrauch senken und so den künftigen Zuwachs des Gesamtverbrauchs in Grenzen halten. Gegen einen vernünftigen Technologietransfer ist nichts einzuwenden. Fakt ist Foto-Nr.: 15

aber auch, daß die energiebedingten CO2- Emissionen in China derzeit 2,2 Tonnen pro Kopf und Jahr betragen, während der ent-Foto: Weinert

sprechende Wert in Deutschland bei über zwölf Tonnen liegt – trotz relativ moderner Technik!

Vor dem übermäßig hohen Niveau in der BRD verschließen die Industrieverbände beharrlich die Augen. Im Gegenteil: Nicht zuletzt mit dem Verweis auf China und andere Energieverschwender versucht man, das CO2-Minderungsziel der Bundesregierung (25 bis 30 Prozent bis 2005 gegenüber 1987) zu kippen. Immer offener wird gefordert, daß ordnungsrechtliche Maßnahmen wie die Wärmenutzungsverordnung oder die Einführung einer Energie-/CO2-Steuer unterbleiben.

Erkläre die Bundesregierung verbindlich den Verzicht auf weitere „Zwangsmaßnahmen“, seien die Industrieverbände bereit, freiwillige Selbstverpflichtungen für einen weltweiten Klimaschutz zu erwägen, womit vornehmlich Aktivitäten außer Landes gemeint sind. Abgesehen von den Zweifeln, ob die Verbände für ihre Mitgliedsunternehmen – gerade in Zeiten der Rezession – überhaupt verbindliche Zusagen machen können, wäre die Bundesregierung schlecht beraten, ließe sie sich auf diesen Handel ein.

Die Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen der Industrie sind wenig ermutigend. Man erinnere sich nur an die Mehrwegzusagen der Getränkeindustrie Ende der siebziger Jahre und vergegenwärtige sich dagegen die heutige Dosenflut. Wichtiger aber sind die wirtschaftspolitischen Argumente gegen die Freiwilligkeit beim Klimaschutz und die Orientierung auf Maßnahmen außerhalb Deutschlands: Zahlreiche Energiesparmaßnahmen lassen sich im Inland zu niedrigen Kosten oder gar mit Gewinn realisieren. Wer diese Sparpotentiale ungenutzt läßt, verschenkt volkswirtschaftliche Vorteile: Die Einsparung von Energie senkt unsere Energieimportrechnung (1992: 41 Milliarden DM), hält die eingesparten Mittel im eigenen Wirtschaftskreislauf und schafft so Arbeitsplätze. Auch hat, wer heute energieeffiziente Technolgie entwickelt und einsetzt, gute Aussichten auf den Märkten der Zukunft. Nicht zuletzt reduzieren sich die „Schattenkosten“ unserer Energieversorgung wie Gesundheits-, Wald- und Klimaschäden, die auf mehrere hundert Milliarden DM jährlich geschätzt werden.

Freilich geschieht das Notwendige nicht, wenn die Politik auf „Laisser-faire“ setzt und ihr Ohr nur den Profiteuren der heutigen Verhältnisse schenkt. Vielmehr sollte sie die China-Ausrede der mächtigen Alt- Industrien als das erkennen, was sie ist: ein Syndrom, ein Krankheitsbild.

Eine Industrie, die trotz wirtschaftlicher und ökologischer Krise für die Festschreibung des Status quo im Inneren plädiert, ist dabei, sklerotisch zu werden. Der Standort Deutschland aber braucht Tatkraft und Unternehmungslust.

Der Autor ist Volkswirt und Projektleiter am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie.