Die „Hüterin des ewigen Rechtes“

In Deutschland schrieben über Jahrhunderte die Bischöfe und Pfarrer die Lehrpläne / Erst der Zusammenbruch der Monarchie setzte der geistlichen Bildungsaufsicht ein Ende  ■ Von Alfred Fickel

Wer das Zusammenspiel von Staat und Kirche in Europa untersuchen will, muß weit zurückblicken: Bereits im Jahr 390 nach Christus nötigte der Bischof von Mailand, Ambrosius, einer der vier großen abendländischen Kirchenlehrer, den Kaiser Theodosius den Großen wegen Mordes zur Kirchenbuße. Dies markierte den Beginn einer langen Ära, während der sich die Kirche als „Hüterin des ewigen Rechts, das über dem Staat steht“, verstand. Der Staat galt als eine Institution Gottes zur Erziehung des Menschengeschlechts; die erzieherische Aufgabe sollte dem Klerus zukommen.

In den frühen Klöstern des 6. und 7. Jahrhunderts war der Wissenserwerb in den Tagesablauf eingebunden und somit Teil der asketischen Lebensform, die bestimmt wurde durch die entsprechende Mönchsregel, an die auch der Abt gebunden war. In der Auswahl des Bildungsgutes hatte der Abt freie Hand. Unter Tassilo III., Herzog von Bayern, wurden Äbte und Bischöfe aufgefordert, nicht nur für die Hebung des Seelsorgeklerus Sorge zu tragen, sondern auch den Kindern das Lesen beizubringen. Der Lehrstoff bestand aus Psalmen, Gesang, Kalenderberechnung, Grammatik und religiösen Büchern. Die Bildung in den Klöstern war Teil eines groß angelegten Kolonialisations- und Christiansierungsprogramms. Den Domschulen oblag die Betonung der praktisch-kirchenrechtlichen Fragen.

Mit dem Aufkommen der Universitäten im 13. und 14. Jahrhundert ging der Einfluß von Kloster- und Domschulen zurück. Neben Theologen beherrschten jetzt auch Juristen die Bildungsszene. Zeitgleich entwickelten sich mit den Stadtgründungen Pfarrschulen zu sogenannten Lateinschulen, auch Stadt- oder Ratsschulen genannt. Auch ihrer Gründung mußten allerdings die Bischöfe zustimmen – das Bildungsmonopol lag immer noch in der Hand der Kirche. In zahlreichen Städten kam es deshalb zu Kämpfen zwischen der Bürgerschaft und kirchlicher Verwaltung.

Rückblickend erscheint das Verhältnis zwischen Schule und Kirche vor der Reformation vergleichsweise offen – über Eifersüchteleien und Kompetenzstreitigkeiten ist wenig bekannt. Im Gefolge der Reformation gewannen in Deutschland die „Schulordnungen“ als gesetzliche Regelungen auf Landesebene an Bedeutung. Der „Württembergischen“, die 1569 einen allgemeinen Volksunterricht unter Aufsicht der Kirche sowie eine Regelung des Bildungswesens von der Dorfschule bis zur Universität festschrieb, folgten auch die katholischen Länder. Im „Westfälischen Frieden“ wurde die Schule als „Annexum religionis“ festgeschrieben. Damit wurde für Jahrhunderte ein Konflikt zwischen Staat, Kirche und Schule sowie zwischen Pfarrern und Lehrern festgeschrieben.

Während in den Städten der Einfluß der Kirche in den folgenden Jahrhunderten zurückging und sich letztlich auf den Religionsunterricht beschränkte, war auf dem Land, wo sich die meisten Schulen befanden, der Lehrer dem „Herrn Pfarrer und seiner Obsorge“ weiterhin ausgeliefert.

Auch im Jahrhundert nach der Proklamation der Trennung von Staat und Kirche während der Französischen Revolution hatten noch reichlich kirchliche Eiferer staatliche Positionen inne. So Berichtete im Dezember 1802 der Amtsadjunkt Ruland von Mühldorf/Inn unter Umgehung seines Vorgesetzten an das General- Commissariat in München, daß der Pfarrer in seiner Predigt „den widerspenstigen Thomas Morus auf eine gar erbauliche Art als Muster“ hingestellt habe. Der Stadtpfarrer versuchte die Sache schleunigst wiedergutzumachen, „indem er aus Schrifttexten für den Untertanengehorsam eiferte“. Der Amtsadjunkt berichtete zufrieden, „...wenn Beamte und Ortspfarrer für die Regierung zusammenwirken (oder nur nicht widerstreben), kann die Regierung tun, was sie will.“ Die Zusammenarbeit war perfekt.

Das Ende des Ersten Weltkrieges und der Sturz der Monarchie war zugleich auch das Ende der geistlichen Schulaufsicht in Deutschland. Mit der Einführung einer staatlichen Bildungsaufsicht in der Weimarer Verfassung wurde der Kirche dieses Recht weitgehend entzogen. Auch konfessionelle Schulen existierten fortan unter staatlicher Aufsicht. An staatlichen Schulen wurde der Religionsunterricht eingeführt.

Laut dem Konkordat von 1933, das von der nationalsozialistischen Regierung sowie dem Vatikan unterzeichnet wurde, durften Konfessionsschulen auch unter Hitler weiterexistieren – unter der Bedingung, daß in der Kirche für das Wohlergehen von Staat und Volk gebetet wurde und daß Priester sich nicht parteipolitisch betätigen dürften.

Die Regelung im Grundgesetz der Bundesrepublik basiert auf dem Weimarer Modell: Es erlaubt sowohl (nach Konfession aufgespaltene) Bekenntnisschulen als auch Gemeinschaftsschulen. Mit der Aufgliederung von Volksschulen in Grund- und Hauptschulen in den sechziger Jahren nahm die Anzahl der Bekenntnisschulen aus organisatorischen Gründen allerdings ab. Ein Ende des Einflusses der Konfessionen auf schulische Bildung ist dennoch nicht in Sicht: In ganz Europa drängen die Kirchen immer stärker auf eine völlige Anerkennung ihrer eigenen Schulen in freier Trägerschaft unter staatlicher Finanzierung.

Der Autor ist Historiker und lehrt Reformationsliteratur an der Universität von Szeged in Ungarn.