Zeitlebens Ornament und Rarität

Afrikaner in Deutschland – Dokumente einer unbekannten Geschichte  ■ Von Dominic Johnson

Nur wenige Zeugnisse der jahrhundertealten afrikanischen Diaspora in Deutschland sind nicht vergessen oder verschollen. Nun hat der Historiker Peter Martin, Autor einer Studie über den Sklavenwiderstand in Amerika („Das rebellische Eigentum“), mit dem umfangreichen Werk „Schwarze Teufel, edle Mohren“ dem Leben der Afrikaner in Deutschland ein würdiges Denkmal gesetzt, reich bebildert und gut dokumentiert, mit Farbtafeln, 320 Textseiten und nicht weniger als 1.666 bibliographisch-wissenschaftlichen Anmerkungen.

Martins Studie ist nicht nur eine Erforschung der oft verschlungenen Wege einer Einwanderung, deren Dimension nie ein hinreichendes Ausmaß erreichte, um in der Wahrnehmung der Deutschen mehr als eine Kuriosität am Rande darzustellen. Es ist ebenso eine Darstellung dieser Wahrnehmung selbst, und dazu noch der Versuch einer Analyse im gesamthistorischen Zusammenhang. Diese dritte Dimension ist die am wenigsten gelungene, da das marxistisch- funktionalistische Weltbild des Autors, in dem alles irgendeinen zwingenden Grund haben muß, mit der tatsächlichen Marginalität des gesamten Themas nur schwer vereinbar ist. Gerade wo es hauptsächlich um größenwahnsinnige Fürsten, verschrobene Gelehrte und orientversessene Philosophen geht, die zu eigenen Zwecken Afrikaner importieren oder mit ihnen Kontakt pflegen, kann der Versuch einer Rationalisierung nur zu einer Verflachung der empirischen Absonderlichkeiten führen.

Martin stellt die Geschichte der Afrikaner in Deutschland dennoch in den Zusammenhang eines jahrhundertealten Klassenkampfs zwischen Feudalaristokratie und Bürgertum. Für die Feudalen, so Martin, sind sie „respektierte Exoten“, für die Bürgerlichen „verachtete Untermenschen“. Der Siegeszug der bürgerlichen Gesellschaft ist somit die Geschichte einer fortschreitenden Degradierung der Schwarzen. Die Aufklärung beinhaltete zugleich die Genese des Rassismus. Martin vertritt die philosophiegeschichtlich umstrittene These, wonach das frühe bürgerliche Denken alles Lebende in den Universalzusammenhang einer „Großen Seinskette“ gestellt und damit eine unverrückbare Hierarchie aller Rassen und Arten errichtet habe. Dies sei die philosophische Begründung der ökonomisch gewollten Herabstufung des Schwarzen in der Moderne.

Es waren, soweit stimmt die These trotzdem, tatsächlich die höfischen Gesellschaften des Spätmittelalters und des Absolutismus gemeinhin toleranter gegenüber Schwarzen als die Protestanten und Kleinbürger späterer Zeiten. Für die Fürsten gab es ja nicht nur ein Afrika. Besonders das christliche Äthiopien hat es den Deutschen seit der Zeit der Kreuzzüge als möglicher Verbündeter gegen arabisch-türkische Großreiche immer wieder angetan. Die am meisten geehrten Afrikaner waren denn auch fast allesamt Äthiopier: der reisende amharische Gelehrte Abba Gregorius (1600–1654), aufgenommen vor allem in Sachsen- Gotha, dessen Erzählungen den Anstoß zur Begründung der deutschen Äthiopistik lieferten; der Oromo Angelo Soliman (1721–1796), Freimaurer und geachteter Intellektueller im Wien Mozarts, dessen Körper jedoch nach seinem Tode zu anatomischen Studien mißbraucht wurde. Der Großvater des russischen Dichters Puschkin, Ibrahim Hannibal, stammte aus Tigre und lebte am Hof Peters des Großen. Bereits im 12. und 13. Jahrhundert wurde die biblische Königin von Saba zum ersten Mal als Königin Äthiopiens identifiziert, woraufhin die ersten „schwarzen Marienbilder“ in Europa Verbreitung fanden. Während die Königreiche West- und Zentralafrikas hauptsächlich als Lieferanten von Sklaven und Gewürzen wahrgenommen wurden, war Äthiopien aufgrund seiner Religion immer etwas Besonderes, vom Rest Afrikas zu Unterscheidendes, und als vor 100 Jahren Afrika zwischen den Kolonialmächten aufgeteilt wurde, behielt das äthiopische Kaiserreich nicht nur seine Unbabhängigkeit, sondern bekam auch beträchtliche weitere Territorien zugeschlagen – eine Grenzziehung, die bis heute bei den diversen Kriegen am Horn von Afrika nachwirkt.

Die Geschichte der Afrikaner in Deutschland ist zugleich eine Geschichte der jahrhundertealten deutsch-äthiopischen Zuneigung und gleichzeitig auch eine verborgene Geschichte der deutschen Aufklärung, deren „Ahnherr“ Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1714), der seine Lebensaufgabe im Wiederaufbau der deutschen Kultur nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges sah, dabei eine entscheidende Rolle spielt. Daß Deutschland, um der Umklammerung durch Westeuropa und Orient zu entgehen, ferne Alliierte suchte – zu Zeiten Leibniz' vor allem im Rußland Peters des Großen, aber eben auch in China und Äthiopien – ist ein außenpolitisches Prinzip von verblüffender Hartnäckigkeit, das sich noch heute in verschiedensten Ausprägungen nachverfolgen läßt.

Um solche Überlegungen anzustellen, haben deutsche Fürsten und Philosophen Afrikaner als Informanten und Schmuckstücke gebraucht. Konkrete Folgen hat es nicht gehabt, was über die Wesentlichkeit des ganzen Themenkomplexes einige Aufschlüsse geben mag. Afrikaner in Deutschland sind zeitlebens Ornament und Rarität gewesen. Um zu Gebrauchstieren zu werden, wie in den Plantagen Amerikas und später in deren kolonialen Mutterländern, gab es zu wenige; um als Ansprechpartner ernst genommen zu werden, war ihre Präsenz zu zufällig. Für die Deutschen waren sie noch nie etwas Selbstverständliches. Nicht einmal vertraut genug, um wie die Muslime zum Feindbild werden zu können, verharren sie im Zustand des Kuriosums, ohne eigene Bedeutung.

Peter Martin: „Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen“. Junius-Verlag Hamburg, 1993, 592 Seiten, 58DM