Freispruch für die ehemalige österreichische Regierungsspitze

■ Geschworene: Kein Amtsmißbrauch und keine Neutralitätsgefährdung / Waffengeschäfte mit Libyen waren o.k.

Wien (taz) – Österreichs ehemaliger Außenminister Leopold Gratz war schon Anfang März voller Hoffnung: Der Prozeß sei ein „antikes, griechisches Drama“, befand der prominente Angeklagte, von dem er erwarte, daß es „wie ein Lustspiel enden wird“. Am Donnerstag schloß das Monsterverfahren auf österreichische Art: als Operette.

Zu entscheiden hatten acht Geschworene, ob Gratz, Ex-Außenminister, Ex-Bürgermeister von Wien und Ex-Parlamentspräsident, der Ex-Innenminister Karl Blecha und der ehemalige österreichische Bundeskanzler Fred Sinowatz sich im Zusammenhang mit Kanonenlieferungen der staatlichen Waffenschmiede Noricum des Amtsmißbrauchs und des noch weiter gehenden Delikts der „Neutralitätsgefährdung“ schuldig gemacht haben. Der Spruch der acht Geschworenen erging einstimmig: Alle drei Angeklagten wurden in der Hauptsache für nicht schuldig befunden; allein Karl Blecha wurde in einer Nebensache der „Urkundenfälschung“ schuldig gesprochen und zu milden neun Monaten auf Bewährung verurteilt.

Seit Mitte der achtziger Jahre hatte die Noricum-Affäre die Öffentlichkeit in Atem gehalten. Mit dem Abtritt von Blecha und Gratz von allen Ämtern verschwanden die letzten engen Mitarbeiter des verstorbenen sozialdemokratischen Reformers Bruno Kreisky. Fred Sinowatz hatte schon 1986 das Handtuch geworfen; der eigentliche Ziehsohn Kreiskys, der einstige Vizekanzler Hannes Androsch, war bereits Ende der siebziger Jahre über eine Korruptionsaffäre gestolpert.

Der Staatsanwalt hatte ein kompliziertes Netz aus Politik, Wirtschaft und Waffenlobby zu entflechten und den drei angeklagten Politikern nachzuweisen versucht, wissentlich verbotene Waffenlieferungen via Libyen an den Iran begünstigt, Hinweise vertuscht und damit ihr Amt mißbraucht sowie die Neutralität, die eine Parteinahme im Kriegsfall verbietet, „gefährdet“ zu haben. Wie schwer es sein würde, derartige Delikte nachzuweisen, wurde gleich zu Beginn des Prozesses klar. Leopold Gratz führte aus, daß in internationalen Verträgen das Prinzip von Treu und Glauben Vorrang habe. Es hätte keinen Anlaß gegeben, an der Glaubwürdigkeit des libyschen „Endverbraucher-Zertifikates“ zu zweifeln. Auch als sich erste Hinweise auf den Weiterexport an den Iran verdichteten, sei die Wahrheitsfindung kaum möglich gewesen. „Hätte ich“, so Gratz, „den Gaddafi fragen sollen, ob er lügt?“

Drei Politiker, die eine Epoche prägten, hatten im Wiener Landesgericht ihre letzten großen Auftritte. Sinowatz etwa, krank und gebeugt, auf den Gehstock angewiesen, gab den pflichtbewußten Diener des Gemeinwesens, der sich nach Jahrzehnten in der Politik durch den Vorwurf, das Land geschädigt zu haben, arg in seiner Ehre gekränkt fühlte und eine Honecker-Lösung – nämlich für verhandlungsunfähig erklärt zu werden – brüsk von sich wies: „Ich steh' diesen Prozeß durch, und wenn man mich im Krankenwagen hierher führt.“ Gratz wiederum, Sir wie eh und je, bot eine eloquente Einführung in die Geheimnisse der internationalen Diplomatie, und Blecha schließlich korrigierte minutiös jede ihm als belastend erscheinende Zeugenaussage.

Sinowatz-Nachfolger Franz Vranitzky versucht bereits, ähnliche Unpäßlichkeiten fürderhin auszuschließen. Der Kanzler stellte die Frage, ob Gerichte der geeignete Ort seien, über Vergehen zu verhandeln, die sich aus einem komplizierten Amt ergeben.

Der Freispruch ist angesichts der grassierenden Politikverdrossenheit überraschend. Die Ex- Granden konnten diese Grundstimmung umdrehen und am Ende von einem Mitleidseffekt profitieren. Daß angesichts einer beinahe ein Jahrzehnt dauernden medialen Vorverurteilung zuletzt der Freispruch fiel, steigert das Vertrauen in die unabhängige Gerichtsbarkeit. In der Bevölkerung stieß der Prozeß ohnehin auf Desinteresse: Auf der Liste der 25 als besonders wichtig empfundenen innenpolitischen Themen reihten die ÖsterreicherInnen den Ausgang des Noricum-Prozesses weit abgeschlagen an die vorletzte Stelle. Der Standard befand, die drei habe „gerettet“, daß sie nicht mehr als Politiker, sondern nur als Menschen beurteilt wurden. Das Boulevardblatt Täglich Alles titelte: „10 Millionen für Schauprozeß vergeudet.“ Robert Misik