Der Scherbenhaufen des Elfenbeinturms

■ Katerstimmung und selbstkritische Töne prägten die Solidaritätsveranstaltung der Bühnen im Schiller Theater

„Die Zeit der Idylle ist vorbei." Jürgen Flimm brachte die Katerstimmung auf den Punkt, die am Sonntag im Schiller Theater herrschte. Am Morgen nach der „Langen Nacht der Berliner Künstler“, während der das ganze Haus von einer ausgelassenen Durchhaltestimmung erfüllt war, wagten sich Theatermacher aus der gesamten Bundesrepublik ans Eingemachte – und übten sich in Selbstkritik. Zu lange habe man die Zeichen der Zeit ignoriert, jetzt stehe man vor dem Scherbenhaufen des Elfenbeinturms, in den sich die Stadt- und Staatstheater in den vergangenen Jahrzehnten begeben hätten. Eine Reform der bestehenden Theaterstruktur sei ebenso notwendig wie Debatten über das Selbstverständnis der Theatermacher, darüber waren sich die Theaterleiter Volkmar Clauß, Jürgen Schitthelm, Frank-Patrick Steckel und Jürgen Flimm sowie die Kritiker Peter Iden, Günther Rühle und Christoph Dieckmann auf der Podiumsdiskussion einig.

Konsens herrschte aber ebenso über die immer wieder formulierte und von den Zuschauern vielbejubelte Entschlossenheit, das Schiller Theater nicht verlorenzugeben. Nicht das Versagen, sondern das gänzliche Fehlen jeglicher kulturpolitischer Konzeption wurde konstatiert, mehrfach der Rücktritt des Kultursenators Roloff-Momin gefordert. Man setzt jetzt auf die juristische Anfechtbarkeit der „Nacht-und-Nebel-Entscheidung“ des Senats, und Günther Rühle forderte die Freigabe des für 1993 bereits bewilligten Etats.

Wesentlich emotionaler dann die Kundgebung auf der Hauptbühne am Nachmittag. Ganze Busladungen von Ensemblemitgliedern diverser deutscher Theater zogen mit Transparenten ins Parkett und bejubelten Solidaritätsbezeugungen zahlreicher Intendanten, die sich aufgemacht hatten, um den Anfängen eines landesweiten Theatersterbens zu wehren.

Frank Castorf, Volksbühnenchef und selbsternannter „Kriegsgewinnler“ der Berliner Theaterschlacht, gab allerdings zu bedenken, daß dieses ja bereits seit langem im Osten im Gange sei, und fragte, wo denn die Solidarität der Kollegen in anderen, weniger spektakulären Fällen gewesen sei. Aber auch er fordert eine Rücknahme des Sparplanes und den Erhalt sämtlicher Theater als „sozialhygienische Inseln“.

Von August Everding, dem Präsidenten des deutschen Bühnenvereins, kamen realistische Einsparungsvorschläge, die die Theaterpraxis entschlacken würden, ohne das „konkurrierende Neben- und kreative Miteinander“ der Bühnen zu beeinträchtigen.

Wenn sich Gleichgesinnte Selbstverständliches versichern, hat das immer etwas Inzestuöses. So auch hier, denn die verantwortlichen Politiker kamen erst gar nicht in das von ihnen längst abgeschriebene Haus. Die Theaterleute aber machten deutlich, daß die Politiker mit einem bundesweiten und langandauernden Protest zu rechnen haben, wenn sie bei ihrer Entscheidung bleiben. Petra Kohse