Estlands Ausländergesetz ausgesetzt

Präsident Meri will das Gesetz von KSZE und Europarat überprüfen lassen / Rußland hebt Blockade der Gaslieferungen erst nach Bezahlung ausstehender Rechnungen auf  ■ Von Reinhard Wolff

Stockholm (taz) – Estlands Staatspräsident Lennart Meri hat das Inkrafttreten des umstrittenen Ausländergesetz des Landes zunächst verhindert. Wie er in Tallinn mitteilte, wird er das Gesetz noch nicht unterschreiben – was für ein Inkrafttreten notwendig wäre –, sondern zunächst einige internationale Stellungnahmen, so des Europarats und der KSZE, einholen. Der estnische Präsident hat die Möglichkeit, vom Parlament verabschiedete Gesetze an dieses zur Neuberatung und -abstimmung zurückzugeben, wenn er Bedenken wegen möglicher Verstöße gegen die Verfassung oder die Menschenrechte hat. Meri teilte weiterhin mit, daß er in Zukunft einen engeren Dialog mit den im Lande lebenden Minderheiten wünsche.

Der vorläufige Stopp des Gesetzes, das ein Drittel der Bevölkerung Estlands zu AusländerInnen machen würde, die regelmäßig um die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis fürchten müßten, dürfte zum einen der gestiegenen Unruhe innerhalb der russischen Minderheit geschuldet sein. Zum anderen häuften sich seit Verabschiedung des Gesetzes in der letzten Woche auch die Stimmen aus dem westlichen Ausland, den Konflikt mit Rußland und der russischen Bevölkerung Estlands nicht noch weiter eskalieren zu lassen. In der liberalen Presse des Landes war in der letzten Woche auch die Befürchtung geäußert worden, es werde „kein günstiges Investitionsklima für ausländisches Kapital“ geschaffen, solle das Gesetz in Kraft treten.

Mit seiner Ankündigung, den Dialog mit der russischen Minderheit zu suchen, reagierte Meri ganz direkt auf Druck von Seiten der KSZE. In der vergangenen Woche hatte ein Mitglied der Menschenrechtsdelegation der KSZE, die sich seit drei Monaten in Estland aufhält, gegenüber schwedischen JournalistInnen die Befürchtung geäußert, das neue Ausländergesetz werde den Bemühungen um eine Vermeidung ethnischer Konflikte im Lande geradezu entgegenwirken. Schwedens Außenministerin Margaretha af Ugglas, die gegenwärtige KSZE-Vorsitzende, hatte ebenfalls nachgehakt und festgestellt, daß „die Mitgliedschaft im Europarat, die Estland gerade erhalten hat, bezüglich der eigenen Gesetzgebung bedeutet, daß besonders hohe Forderungen an Menschenrechte und Demokratie gestellt werden müssen“. Und weiter: „Es kann nicht im Interesse Estlands liegen, Gräben zwischen den Menschen auszuheben. Stattdessen müßten alle an einem Strang ziehen, um das Land aufzubauen.“

Rußland, das seine Erdgaslieferungen nach Estland am vergangenen Freitag nach Ansicht estnischer Politiker nicht allein wegen offenstehender Rechnungen, sondern auch aus Protest gegen das „Apartheidgesetz“ unterbrochen hatte, hob den Lieferstopp vorerst nicht auf. Wie der Sprecher des russischen Staatskonzerns Gasprom mitteilte, habe Estland zugesagt, die ausstehenden Zahlungen in Höhe von elf Millionen Mark in den kommenden Tagen zu begleichen. Wenn das Geld eingegangen sei, werde Moskau die Gaslieferungen wieder aufnehmen.

Der Druck Rußlands dürfte für den Schritt Präsident Meris nicht entschiedend gewesen sein. Nachdenken löste jedoch vor allem die Moskauer Ankündigung aus, den Abzug der russischen Truppen zu stoppen, da diese möglicherweise die Rechte der russischen Minderheit schützen müßten. Unmittelbar vor den Auseinandersetzungen über das Ausländergesetz hatte der estnische Delegationsleiter bei den Truppenabzugsgesprächen, Jüri Luik, festgestellt, daß ein endgültiges Abzugsdatum in Kürze vereinbart werden könne.

Ein Gewerkschaftssprecher aus Narva, dem Zentrum der russischen Minderheit, bezeichnete Meris Stoppsignal als Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig äußerte er aber auch die Befürchtung, daß der Präsident es durch seine Fragestellung an Europarat und KSZE in der Hand habe, sich ein ihm genehmes Ergebnis absegnen zu lassen. Die Frage, ob das Gesetz die russische Bevölkerung diskriminiere, sei kein juristisches oder völkerrechtliches, sondern ein gesellschaftliches Problem. In Narva demonstrierten auch am Montag einige Hundert Menschen vor der Stadtverwaltung gegen das Gesetz. Sie forderten einen Anschluß der Grenzstadt an Rußland.