Machtzirkel-Demokratie

■ In Hamburg quälen sich derzeit die Parteien mit der Kür ihrer BerufspolitikerInnen

Eins ist schon heute sicher: Er kann weiterwirbeln — Henning VoscherauFoto: Hinrich Schultze

Die Wahlen sind längst in vollem Gang. Am Drücker sind die Parteien. Sie kauen vor, was das Wahlvolk im September schlucken wird: Die Kandidatenlisten für die Hamburger Bürgerschaft. Von rund einer Million HamburgerInnen, welche die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur

mitbringen, sind dann noch rund 200 übriggeblieben, die echte Chancen auf eines der 121 Bürgerschaftsmandate haben.

Mindestens 80 dieser 200 können praktisch ihre Bürgerschaftsbüros schon heute mieten — die ersten Listenplätze von SPD, CDU und GAL sind so sicher wie ein unterzeichneter Vorvertrag bei einem renommierten Konzern der Privatwirtschaft. Auch der künftige Bürgermeister ist bereits gewählt. Er heißt Henning Voscherau, egal ob er die Wahl verliert oder gewinnt. Allenfalls bei einem Absturz unter 40 Prozent muß Notar Voscherau fürchten, daß einige versuchen werden, seinen Vorvertrag zu annullieren.

Das Wahlvolk entscheidet bei der Wahl im September nur, ob und welche Reps, FDPler, CDU-, SPD- und GAL-Hinterbänkler die Diätenberechtigung erwerben. Auch bei der späteren Wahl der Regierung bleibt das Volk außen vor. Das Gerangel um Senats- und Staatsratsposten ist bei SPD und GAL bereits in vollem Gange.

In der SPD entscheiden von den noch 20 000 Mitgliedern vielleicht gerade 3000 wenigstens formal mit. Die eigentlichen Entscheidungen trifft der innere Kreis von rund 200 bis 300 Leuten, angeleitet dabei wiederum von einer SPD- Machtelite, die aus etwa 20 Leuten besteht. Bei der CDU ist das kein bißchen anders — nur die Zahl der aktiven Mitentscheider ist erheb

lich geringer.

Vergleichsweise vorbildlich gab sich am vergangenen Wochenende die GAL. Hier entschieden tatsächlich die Mitglieder, hier gab es tatsächlich Kampfabstimmungen, Wahlen nach Qualität und politischer Überzeugung. Jedoch: Auch die 350 TeilnehmerInnen der GAL repräsentieren nicht einmal 20 Prozent der Mitgliedschaft. Auch bei der GAL steuerten die einzelnen Machtzentren gut 200 der anwesenden Stimmberechtigten, die den Vorgaben ihrer EintänzerInnen meist mit äußerster Präzision folgten. Der innere Machtkreis der GAL, mit 20 bis 30 Leuten immerhin ebenso groß wie der der SPD, legte auch fest, wer auf welchem Listenplatz gegeneinander antreten durfte. Den 100 000 bis 150 000 Hamburger Grün-WählerInnen im September bleibt keine Wahl. Sie müssen sich auf die Qualität dieses Auswahlmechanismus verlassen.

Wer sich diesen Auswahlmechanismus in den verschiedenen Parteien anguckt, findet statt Qualität oder Kompetenz ganz andere Auswahlkriterien. Mit gutem Grund: Die inneren Machtzirkel der Parteien eint die Erfahrung eines mühevollen Aufstiegs. Da die Zahl berufspolitischer Jobs gering ist, vergibt sie dieser innere Machtzirkel meist unter sich. Entscheidend für politische Ämter ist der Eintritt in den inneren Machtzirkel. Das kann schon mal per Kompetenz und Engagement klappen. Oft jedoch ist das Gegenteil der Fall: Eindringlinge werden vorzeitig abgeblockt, um die Pfründenbalance der Machtelite nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Bei der GAL ist das alles noch ein bißchen komplizierter: Sie ist vergleichsweise demokratischer, offener und transparenter. Menschen mit Lust auf Politik und überdurchschnittlichen Fähigkeiten haben hier tatsächlich die Chance, binnen kürzester Zeit auf wichtige Positionen vorzustoßen. Genau solche Leute aber schreckt die Offenheit der GAL. Sie wissen, daß hier politische Jobs auch ganz schnell wieder verschwinden können, politische Lebensplanung kaum möglich ist, da der innere Machtzirkel nicht die Stabilität anderer Parteien aufweist.

Kurz: Während die GAL gute Leute durch mangelnde Stabilität des Filzes abstößt, hält der Filz des Mittelmaßes in den Führungsspitzen von CDU und SPD gute Leute ab, sich deren knechtischen Karrierespielregeln zu unterwerfen.

Die wenigen klarsichtigen Führungsleute in CDU und SPD räumen in Vier-Augen-Gesprächen denn auch unumwunden ein, daß die Qualität ihrer Berufspolitiker- Crews erschreckend niedrig ist. Wer in Hamburg Berufspolitiker werden will, steht vor einer unerfreulichen Alternative: Soll er sich dem mediokren Filz von CDU und SPD andienen und bei Annahme persönlicheitsverbiegende Zugeständnisse an die Filzspielregeln machen? Oder soll er sich den populistischen Bauchblähungen oft recht beliebig zusammengesetzter GAL-Mitgliederversammlungen aussetzen? Florian Marten