Das wahre Leben

Amerikaner drehen zur Zeit Remakes, als würden sie dafür bezahlt. Jüngstes Beispiel: Bessons „Nikita“  ■ Von Anja Seeliger

In Cannes mögen die französischen Filme ja eine Pleite gewesen sein, was soll's. Dafür sind im Augenblick die Amerikaner ganz verrückt nach französischen Filmen. Natürlich nicht nach den Originalen. Das amerikanische Publikum akzeptiert weder Synchronisation noch Untertitel. Remakes dagegen sind eine andere Sache. Zur Zeit werden sieben französische Filme amerikanisiert, darunter Klassiker wie Claude Sautets „Die Dinge des Lebens“, wo nach Hollywoods Wille Richard Gere als Ersatz für den wunderbaren Michel Piccoli verheizt werden soll. Doch nicht genug damit, zur Zeit wird über die Neuverfilmung von 25 weiteren französischen Filmen verhandelt. Auf der amerikanischen Wunschliste stehen u.a.: Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“, Jean-Pierre Melvilles „Le Samourai“ und Etienne Chatiliez' „Das Leben ist ein langer ruhiger Fluß“.

Wenn man sich John Badhams „Codename: Nina“, ein Remake von Luc Bessons 1989 gedrehtem Film „Nikita“ ansieht, wird klar, weshalb Nachverfilmungen so attraktiv sind: Weder Zeit noch Geld verschwendend, ist Badham kein Jota von dem französischen Drehbuch abgewichen. Die Einstellungen sind praktisch identisch. Der Unterschied liegt allein in der Haltung zu der Geschichte. Besson fand sie absurd und lustig, Badham groß und wahr.

So lächerlich manches Remake anmutet, einige französische Stoffe sind so uramerikanisch, daß man sich fragt, wie um Himmels willen ein Franzose darauf verfallen konnte. So wird jetzt auch über einen Film verhandelt, den André Cayatte 1958 gedreht hat, „Le miroir à deux faces“, mit folgendem unwahrscheinlichen Inhalt: „Die Ehe eines Lehrers an einer Knabenschule geht nach zehnjährigen täglichen Quälereien endgültig in die Brüche, weil die Frau sich einer Schönheitsoperation unterzieht: Marie-José verläßt ihre Familie, kehrt aber zu den Kindern zurück, als sie erfährt, daß ihr Mann den Schönheitschirurgen umgebracht hat.“ (Lexikon des Internationalen Films).

Bessons „Nikita“ ist auch so ein Fall. Eine asoziale junge Frau wird vom Geheimdienst aufgelesen und, gegen Erlaß einer lebenslänglichen Haftstrafe wegen Polizistenmordes, zur Killerin abgerichtet – eine klassische amerikanische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Karriere. Schon die Eingangssequenz – eine wilde Schießerei zwischen Polizisten und abgetakelten Junkies – macht klar, wo es bei Badhams „Nina“ langgeht. Die Bilder von Kameramann Michael Watkins sind so grobkörnig und unscharf, wie es sonst nur bei Dokumentaraufnahmen erlaubt ist. Man sieht die Blitze der abgefeuerten Schüsse, aber meist ist die Leinwand noch dunkler als in „Berlin Alexanderplatz“. Als Zuschauer verliert man jeden Orientierungssinn und möchte sich am liebsten in seinem Sessel ducken: This is real life, man.

Schon die Vorstellung einer derartigen Schießerei in Paris ist einfach lächerlich. Folgerichtig kam Bessons Schießerei so existentialistisch-new-wavig daher wie nur irgend möglich. Anne Parillaud als Nikita sah aus wie ein Witz. Sie hatte eine Frisur wie Liz Taylor vor zwei Jahren. Le Punk wie ihn sich Alexandre vorstellt. Besson legte keinen Wert auf Authentizität, dafür ist er zu schlau. Statt dessen trieb er unauffällig die Rituale amerikanischer Hartgesottener auf die Spitze. Bevor sie rauchen, fummeln seine Protagonisten endlos lang an ihren Zigarettenpäckchen und Feuerzeugen rum und Parillaud servierte ihrem letzten Opfer vor der Hinrichtung fürsorglich einen Whisky. Mit Eis, bittet der arme Mann, was ihm gewährt wird.

Für einen anderen Anschlag muß sich Parillaud als Kellnerin verkleiden. Vorne im Bild basteln Männer mit Drei-Tage-Bart ihre Bombe, aber hinten sieht man, wie sie sich verrenkt, um sich diskret umziehen zu können.

Bridget Fonda ist dagegen so tough, wie man es von einem amerikanischen Mädel erwartet. Manchmal ist ihr Gesicht so fotografiert, daß der Eindruck von Häßlichkeit und Unberechenbarkeit an die abstoßenden Visagen der Pasolini-Knaben erinnert. Selbst diese fürchterliche, blonde Perücke, die sie später tragen muß und mit der sie aussieht, wie die typisch amerikanische Serienschlampe, ändert daran nichts. Da ist der schmale harte kleine Mund der Fonda vor.

Natürlich basiert der Film auf einer idiotischen Geschichte – das ungezähmte Straßenkind mit der Wut im Bauch, das seinen Karatelehrer mit einem Treffer k.o. schlägt und sich aus der Scheiße rausschießt – aber es schadet nichts, daß Badham vorgibt, mit „Nina“ eine realistische Geschichte zu erzählen. Von dieser Art Überhöhung lebt der amerikanische Film.

Schließlich ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, daß sich ein abgetakelter Westernheld und ein Säufer gegen eine Bande ausgeschlafener Revolverhelden durchsetzen, aber käme jemand auf die Idee, Howard Hawks „El Dorado“ wegen mangelnder Wahrscheinlichkeit zu kritisieren? Überhaupt bekommt die französische Vorlage dem Remake ganz ungemein. Die Erziehung in der Geheimdienstschule wird nicht mit dem üblichen reaktionären Erst-harte-Erziehung-macht-einen-richtigen-Menschen-aus-dir-Mist verbrämt. Statt dessen erklärt Fondas Vorgesetzter seinem widerspenstigen Zögling: „Wenn du nicht mit dem Scheiß aufhörst, bringen sie dich um.“ Das klingt doch mal plausibel.

Auch der Blick der Regisseure auf die beiden Frauen könnte nicht verschiedener sein, wobei Besson ein wenig schmierig aussieht. In der Geheimdienstzentrale angekommen, hält Besson erst auf Parillauds lächerlich zerrupften Kopf und dann schielt die Kamera gleich unters Bett, um einen Blick auf ihre schönen Beine zu erhaschen. Eine Art grande dame der Spitzel, gespielt von Jeanne Moreau, versucht, ihr das Auftakeln schmackhaft zu machen. „Laß dich von dem großen Vergnügen leiten, der Macht, eine Frau zu sein.“ Die amerikanische Version, Anne Bancroft, begnügt sich mit einem schlauen: „Lächle, dann bekommst du, was du willst.“ Parillaud erzählt am Schluß alles ihrem Freund, der sie „gehenläßt“, damit sie sich in Sicherheit bringen kann. Fonda dagegen zieht ihre Pumps aus, bevor sie in einem Restaurant ein Gemetzel veranstaltet und haut am Ende einfach ab.

Einen Spaß erlaubt sich allerdings auch die amerikanische Version: in der Rolle des „Reinigungsmannes“ – sozusagen ein Killer fürs Grobe — marschiert Harvey Keitel als Woody Allen, der Dustin Hoffmann spielt, durch die Flure. Mit Abstand die charmanteste Rolle, die Keitel je hatte.

John Badham: „Codename: Nina“, USA 1992,

Kamera: Michael Watkins. Mit Bridget Fonda, Anne Bancroft u.a., 108 Min.