■ Präsident Clinton nach seinem blutigen Initiationsritus
: Zwischen zwei Trümmerhaufen

„Gott segne Amerika“, rief Bill Clinton aus, früher Atheist und Gegner des Vietnamkriegs. Es war der Schlußsatz seiner TV-Performance nach den Bomben auf Bagdad. „Gott helfe Amerika“, kann da nur einer antworten, der genau zwischen zwei Trümmerhaufen sitzt: dem von Bagdad und dem einer progressiven amerikanischen Politik. Ich verzweifle nicht aus betrogener Hoffnung (habe nie viel in Clintons moralische Sensibilität investiert). Es geht um die Momentaufnahme, die das Bagdader Bombardement und Clintons Feldpredigt über den augenblicklichen Zustand des amerikanischen Volkes zutage fördern.

Die Machtdroge

Indem der Präsident ein kleines Wohnviertel im Mittleren Osten plattmacht und danach seine Muskeln vor den Fernsehkameras spielen läßt, hat er eigentlich nur getan, was überlebensnotwendig für ihn und seine ehrgeizigen innenpolitischen Reformpläne ist. Selbst denjenigen, die ihn auf dem linken Flügel der Demokratischen Partei unterstützen, wird ein Seufzer der Erleichterung entfahren. Schlußendlich hat der Präsident doch „Führungsqualitäten“ gezeigt! Clintons männliche Entschlußkraft verdankte sich letztlich der Tatsache, daß die amerikanische Öffentlichkeit von ihm zunehmend angeödet war: sie hatte die Diskussionen über die Verminderung des Haushaltsdefizits satt, sie war durcheinander angesichts der Debatte über die Gesundheitsreform – und sie war beunruhigt über Nachrichten, denen zufolge die USA nicht mehr Herrscher der Welt seien.

Vom praktischen Standpunkt hatte Clinton völlig recht mit der Feststellung gehabt, daß die Innenpolitik absolute Priorität erhalten muß. Aber politisch gesehen war das eine Katastrophe. Amerika ist vom Gedanken internationaler Macht berauscht, seit Franklin Delano Roosevelt das Land aus der Isolation riß und das Steuer auf der atlantischen Kommandobrücke übernahm; seit er den Europäern das Ende des Kolonialismus diktierte und die politisch-ökonomische Ordnung der Nachkriegszeit festlegte – so wenigstens will es der große Mythos. Reagan und Bush haben diesen Mythos durch ständiges Rüsten, durch Invasionen, durch verdeckte Operationen und durch eine sich überschlagende moralisierende Rhetorik genährt – bis zu Bushs farcenhafter Imitation Roosevelts (starring special guest Saddam Hussein als Hitler) in dem Fernsehkrieg mit Bagdad. Es kann sein, daß Clinton während seiner ersten sechs Monate zu heftig und zu schnell versucht hat, Amerika von dieser Machtsucht zu kurieren. In seiner „Rede zur Lage der Nation“ wurde die Außenpolitik vernachlässigt. Er ignorierte den Feldherrnmantel des Oberkommandierenden, außer daß er eine Diskussion über die Zulassung von Homosexuellen in die Streitkräfte vom Zaun brach. Er schwankte bei dem ersten außenpolitischen Test, den er zu bestehen hatte, dem Krieg in Bosnien-Herzegowina. Er ließ es zu, daß die amerikanische Außenpolitik von den Ansichten der europäischen Verbündeten bestimmt wurde. Für eine amerikanische Öffentlichkeit, die in der Reagan-Ära groß geworden ist, waren Konsultationen mit den Europäern stets eine simple Pro-forma- Angelegenheit: Wir sagten ihnen, was wir tun werden, und sie stimmten zu. Entweder drückten sie ihren Enthusiasmus auf der Stelle aus. Oder sie stimmten widerstrebend zu, nachdem sie zuvor etwas nervös zusammengezuckt waren und eine kleine, liebenswerte Existenzangst sehen ließen. Aber dann, in diesen ersten Monaten Clintons, hatten die Amerikaner nicht nur unter dem Verschwinden des alten Hauptfeinds zu leiden. Sie mußten auch mit ansehen, wie Außenminister Christopher zwischen den europäischen Hauptstädten hin und her eilte, da Notizen machte und dort Memos hinterließ – wie ein Vertreter, der um einen Abschluß feilscht.

Endlich Führung!

Das ist es nicht, was man in den USA unter „Führung“ durch den Präsidenten versteht. Es spielt überhaupt keine Rolle, daß Clintons innenpolitische Tagesordnung das ehrgeizigste und seriöseste Programm seit der „Great Society“ enthält. Er hat die Lektion der „großen“ Nachkriegspräsidenten aus der demokratischen Partei in den Wind geschlagen: sie alle haben innenpolitische Reformen erst in Angriff genommen, nachdem sie sich durch entschlossene außenpolitische Rhetorik einer quasi plebiszitären Unterstützung versichert hatten, einer Akklamation, die vor allem ihrer Person galt. Für viele Amerikaner sahen Clintons erste sechs Monate weder nach einer guten oder schlechten, sondern nach gar keiner Regierung aus. Wenn man aber jetzt Clintons Fernsehansprache nach dem Bagdad-Bombardement nachliest, so klingt sie wie das erste Regierungskommuniqué nach einem Staatsstreich. Es gibt ein neues Regime mit einem Krieger-König! Verschwunden ist das Bild des „alten“ Clinton, des Liebhabers der Gesetze und der Bürokratie, des Pantoffelhelden, des stets etwas effeminiert wirkenden Freundes der Schwulen. Der Präsident hat seinen blutigen Initiationsritus hinter sich. Er hat seinen Platz in der Tradition der Großen Häuptlinge eingenommen. Der „alte“ Clinton hätte, wenn er mit Beweisen einer irakischen Verschwörung gegen George Bush konfrontiert gewesen wäre, einen bebrillten Anwalt zum Internationalen Gerichtshof nach Den Haag geschickt. Äußerstenfalls hätte er um die Genehmigung des Weltsicherheitsrates für irgendeine Art von „militärischer Antwort“ nachgesucht. Der neue Clinton entschuldigt sich nicht dafür, daß er mit dem Bombardement den Pfad des Völkerrechts verlassen hat. In völliger Abkehr von seiner üblichen anwaltschaftlichen Bedächtigkeit hat er nicht mal versucht, den Zweck des Bombardements und sein Timing zu erklären. Es geht, so Clinton, um die Souveränität der USA und ihre Stärke in den Augen der Welt: „Die Sicherheit Amerikas“, sagt er, „war abhängig von der Deutlichkeit dieser Botschaft: Kommt uns nicht zu nahe!“ Wie seine Vorgänger im plebiszitären Regierungsstil personalisiert und dämonisiert Clinton die Bedrohung von außen. Diesmal geht es um Saddam und um Clintons Berufung, die USA zu schützen.

Es ist immer deprimierend, einen intelligenten Menschen in billigem, patriotischem Kitsch untergehen zu sehen. Aber der eigentliche Grund meines Unbehagens kommt aus dem Gefühl, daß der arme Bill nicht wirklich verantwortlich ist für das, was er getan hat. Er ist nur ein weiteres, williges Opfer einer politischen Kultur, die aus Blut, bombastischen Redensarten und der Einbildung besteht, oberste moralische Instanz auf der Welt zu sein. Möglich, daß Clintons Popularitätskurve jetzt nach oben weist. Das galt seit dem Zweiten Weltkrieg für jeden Präsidenten nach jeder Militäraktion, ob sie nun erfolgreich war oder nicht. Jedenfall wird es den Spöttern schwerer fallen, Witze über Clintons Rückgratlosigkeit zu reißen. Der für Clinton so gefährliche Vergleich mit Jimmy Carter wird jetzt verstummen. Die Demokraten der Südstaaten werden ihren Oberkommandierenden unterstützen. Die Republikaner werden sich ein zähneknirschendes Lob abzwacken. Vielleicht bringt uns zu guter Letzt die gestärkte Stellung des Präsidenten eine echte und auf Dauer haltbare Gesundheitsreform. Aber auch die würde unsere wirklichen Leiden nicht heilen. Warren Rosenblum

Der Autor ist Amerikaner und lebt als Historiker in Berlin. Übersetzung: C.S.