Kiet wirbt für Vietnam

■ Billiglohnland lockt Investoren

Berlin (taz) – Ganz im Sinne seines vietnamesischen Gastes, Premier Vo Van Kiet, äußerte sich Bundeskanzler Helmut Kohl am Dienstag, als er lobend vom sichtbaren Erfolg der Wirtschaftsreformen in Vietnam und Bemühungen um den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen sprach. Die vorläufige Inkraftsetzung des Investitionsschutz- und Förderungsvertrages weise in die richtige Richtung. Unterdessen demonstrierten vor dem Kanzleramt rund 50 VietnamesInnen für Demokratie und Religionsfreiheit in ihrem Land.

Obwohl die Menschenrechte in Vietnam mit Füßen getreten werden, und laut amnesty international seit 1990 über 60 Schriftsteller, Journalisten, Regimekritiker und etwa 30 protestantische Pastoren hinter Gitter gebracht wurden, weil sie Meinungsfreiheit forderten und die Partei kritisierten, wies die Bonner Regierung nur schwach auf diesen wunden Punkt hin. Kohl und Kinkel setzen darauf, daß Vietnam politisch liberaler wird, wenn das Land sich weiter wirtschaftlich öffnet.

Und das tut Vietnam. Investoren aus dem Ausland rücken in Scharen an: Billiglöhne locken zunehmend auch deutsche Konzerne, denn es hat sich herumgesprochen: In Vietnam ist viel Geld zu verdienen; 12.000 Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Schon wurden über 500 Auslandsinvestitionsprojekte mit einem Volumen von mehr als vier Milliarden Dollar von der Regierung bewilligt, hauptsächlich in der Ölförderung, Textilindustrie sowie in der Hotel- und Tourismusbranche.

Die Menschenrechte sollten einigermaßen beachtet werden, fordern vor allem westliche Regierungen – auf Druck ausländischer Konzerne allerdings senkte die Regierung im letzten Jahr den gesetzlich garantierten Mindestlohn von 50 auf 35 Dollar. Bei den steigenden Nahrungsmittelpreisen ist dies für viele VietnamesInnen eine Katastrophe. Proteste dagegen gibt es kaum, die Arbeitslosenquote liegt bei annähernd 30 Prozent, dazu kommen weitere 20 Prozent, die unterbeschäftigt sind, sich mit Gelegenheitsjobs knapp über Wasser halten. Die Hälfte der Bevölkerung hat täglich weniger als die von der Weltgesundheitsorganisation als Mindeststandard empfohlenen 2.300 Kalorien zu essen.

Im letzten Jahr stiegen ausländische Investitionen um 73 Prozent, die Inflation konnte von 700 Prozent im Jahre 1988 nach staatlichen Angaben auf 18 Prozent gedrückt werden, weil nicht wie bislang einfach neues Geld gedruckt und die Vergabe von Krediten seit kurzer Zeit an die Wirtschaftlichkeit geknüpft wird.

Mit der Aufhebung des US- Handelsembargos gegen Vietnam, von vielen noch in diesem Jahr erwartet, wird es grünes Licht für die Darlehen der großen internationalen Finanzorganisationen geben, die für den Aufbau einer modernen Infrastruktur dringend benötigt werden — und zwar weitgehend unabhängig davon, wie sich das Hanoier Regime in Menschenrechtsfragen verhält. Thomas H. Rentschler