Tschechen als Hilfssheriffs für Bonn

Zeitgleich zur deutschen Asylrechtsänderung schließt die Prager Regierung die tschechisch-slowakische Grenze für Flüchtlinge / Schwierige Verhandlungen mit Bonn  ■ Von Sabine Herre und Tomas Niederberghaus

Prag/Berlin (taz) – Rund 240 Kilometer lang ist die Grenze, die seit einem halben Jahr die Tschechische von der Slowakischen Republik trennt. Doch seit dem heutigen Tag ist sie mehr als nur eine Grenze. Nach Inkrafttreten der deutschen Asylrechtsänderung soll ein neuer „Eiserner Vorhang“ Europa teilen: Bereits hier wollen die Tschechen Flüchtlingen, die von der slowakischen Seite kommend über die Tschechische Republik nach Deutschland reisen wollen, die Einreise verweigern.

Bisher freilich ist weitgehend unklar, wie der Eiserne Vorhang aussehen soll. Zwar ließ Prag in den letzten Wochen 313 Soldaten und 22 Offiziere in einem Schnellkurs auf die zukünftigen Grenzaufgaben vorbereiten; nach Auskunft des Innenministeriums ist der Beginn des Einsatzes jedoch unklar. Bisher gibt es einige provisorische Grenzstationen, die vor allem der Kontrolle der Warenaus- und -einfuhr dienen. Die tschechische Regierung möchte 12 Straßen- und sieben Eisenbahnübergänge errichten, nach Ansicht von Fachleuten dürfte dies jedoch mindestens drei Monate dauern.

Verzögert wurde der schnelle Ausbau der Grenze auch durch die Slowakei. Obwohl die tschechische Regierung schon vor langer Zeit auf Verhandlungen zwischen Bonn und Bratislava drängte, zeigte man sich dort mehr als nur zurückhaltend. Noch am Dienstagabend stellte der slowakische Wirtschaftsminister Július Tóth fest, daß sich die Slowakei einen Ausbau der Grenze nicht leisten könne; schließlich würden die „Befestigungen“ rund 2,4 Milliarden Mark kosten. Premier Mečiar selbst hatte wiederholt darauf hingewiesen, daß die Slowakei einer „festen“ Grenze nicht interessiert sei. Prager Beamte stellten einmal fest: „Die slowakischen Interessen sind klar, wenn es keine feste Grenze gibt, gibt es in der Slowakei auch keine Flüchtlinge.“ Ein weiterer Grund für die Verzögerungstaktik Bratislavas dürfte aber auch darin gelegen haben, daß angesichts der wachsenden slowakisch- ungarischen Spannungen mit einem schnellen Abschluß eines slowakisch-ungarischen Rückführabkommens nicht zu rechnen ist.

Daß die Slowakei sich im Mai schließlich doch zu Verhandlungen bereit erklärte, verdankt die tschechische Regierung nicht zuletzt Bundeskanzler Helmut Kohl. Denn der sandte nicht nur einen seiner Mitarbeiter, sondern auch ein persönliches Schreiben an Mečiar. Auch Prag selbst verstärkte den Druck mit der Ankündigung, ab dem 1. Juli die Grenze auch im Alleingang befestigen zu lassen.

Tatsächlich steht jedoch nicht Bratislava, sondern Prag unter Druck. Da die Tschechische Republik noch kein Readmissionsabkommen mit der Bundesrepublik unterzeichnet hat, gelten an der tschechisch-deutschen Grenze weiterhin die alten Bestimmungen: Flüchtlinge, die über die böhmische Grenze nach Bayern oder Sachsen kommen, können nur abgeschoben werden, wenn sie innerhalb von 48 Stunden von den deutschen Behörden aufgegriffen werden. Die Tschechische Republik ist daher ab heute – im Unterschied zu Polen, wo eine Sechsmonatsfrist für Abschiebungen festgelegt wurde – nicht nur „sicheres Drittland“, sondern auch „sicheres Fluchtland“. In Prag wird befürchtet, daß Asylsuchende, die bisher über Polen ihren Weg in die Bundesrepublik suchten, sich nun für die böhmische Route entscheiden. Nach Schätzungen der Prager „Fremdenpolizei“ sollen sich mehr als 100.000 Flüchtlinge im Lande aufhalten.

Da der tschechischen Regierung somit an einem schnellen Abschluß des Vertrages mit der Bundesrepublik gelegen sein muß, dürfte sie sich in den hier noch umstrittenen Punkten kaum mehr durchsetzen. Diskutiert wird im Moment die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Abschiebefrist von sechs Monaten gelten soll. Während Prag den Zeitpunkt des Grenzübertritts festgehalten wissen will, soll die Frist nach Bonner Vorstellungen erst beim Aufgreifen der Flüchtlinge in Gang gesetzt werden. Begründung: Zum einen sei der Tag des Grenzübertritts kaum festzustellen, zum anderen würden die Flüchtlinge die Sechsmonatsfrist umgehen, indem sie sich bei „ihren zahlreichen Bekannten“ verstecken.