Glückwunsch, Katastrophe!

Drei Jahre deutsch-deutsche Währungsunion / Vor allem die Koalitions-Klientel wurde bedient  ■ Von Kurt Hübner

Eine Katastrophe, so die Bewertung des Vorgangs durch den früheren Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl, feiert heute ihren dritten Geburtstag: die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, mit der die beiden Deutschländer ökonomisch miteinander vereinigt wurden, bevor die politische Einheit vollzogen war. Man erinnere sich: Betrieben von einer ebenso kurzsichtig wie opportunistisch agierenden Sozialdemokratie, deren Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier kurz nach dem Fall der Mauer von einer Einführung der D-Mark in der DDR sprach, bot Bundeskanzler Kohl der Regierung von Lothar de Maizière bereits am 6. Februar 1990 an, „die Mark der DDR als Währungseinheit und gesetzliches Zahlungsmittel durch die D-Mark zu ersetzen“.

Was von der politischen Klasse mehrheitlich als Traumreise annonciert war, wurde für die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung zu einer wahren Alptraumreise. Wiederholt wurde nicht das verklärt erinnerte Wirtschaftswunder der auf die Währungsreform im Jahre 1948 folgenden Prosperitätsjahre. Die allein von der Logik der Wahlstimmenmaximierung bestimmte Entscheidung über die Höhe der Umtauschsätze setzten vielmehr einen vicious circle in Gang, der dem neuen Deutschland ein Mezzanotte von solcher Dimension verschaffte, daß mittlerweile selbst die Institution D-Mark ins Wanken gerät.

Drei prinzipielle Antworten bieten sich auf die Frage an, warum die Herstellung der Einheit diesen und keinen anderen Verlauf nahm. Da wäre einmal das von der politischen Klasse bemühte Argument, es hätte in der damaligen Situation keine Alternative zur schnellen Währungsunion gegeben. Nicht zuletzt die politischen Wirren in der Endphase der Gorbatschow- Regierung hätten bewiesen, daß nur dank des forcierten Tempos eine international einvernehmlich geregelte Vereinigung hat realisiert werden können.

Auch wenn es richtig ist, daß die Bundesregierung außenpolitisch die „Gunst der Stunde“ erfolgreich nutzte, ist damit keineswegs bewiesen, daß der eingeschlagene Weg ohne Alternativen gewesen wäre. Die bis heute aufgelaufenen und zukünftig abzusehenden horrenden Kosten der Einheitspolitik lassen nachträglich selbst noch die Vorschläge attraktiv erscheinen, die für eine Übergangsperiode auf eine eigenständige Währung setzten, deren Außenwert fest an die D-Mark gekoppelt und durch entsprechende Devisenmarktinterventionen – finanziert durch einen von der BRD gespeisten Stabilisierungsfonds – gesichert sein sollte.

Aber auch die Vorschläge zeitlich befristeter und dregressiv angelegter Lohnsubventionierungen, lokaler und regionale Präferenzsysteme zugunsten ostdeutscher Betriebe und strukturpolitisch orientierter Sanierungen und Privatisierungen wären machbare und vor allem finanzierbare Alternativen gewesen. Die in Siegeseuphorie taumelnde politische Klasse tat solche Anstöße naserümpfend ab. Die soziale Marktwirtschaft, so die frohe Botschaft, werde auch dem Osten Deutschlands schnell zu Prosperität und Wohlstand verhelfen. Der Staat habe dabei nur die Anstöße zu geben, das Kapital werde dann das nationale Projekt vollbringen.

Vorstellbar wäre, und dies ist eine zweite Antwort, daß zumindest einem reflektierteren Teil der Politiker klar war, daß ein Tal der Tränen durchschritten werden muß, bevor das Reiseziel der „blühenden Landschaften“ erreicht werden kann. Nach dem Motto, daß ein Ende mit Schmerzen einem Schmerz ohne Ende vorzuziehen ist, hat man sich in Bonn für eine Politik der Schocktherapie entschieden. Das Umtauschgeschenk für die Ostbürger wäre demnach als Beruhigungspille zu verstehen, die die gleichzeitige Amputation lindern sollte.

Was den massenhaft in die Arbeitslosigkeit getriebenen Ostbürgern zunächst als D-Mark-Regen erscheinen mußte, war letztlich ein Danaergeschenk. Denn die Umstellung von Stromgrößen wie Löhnen und Gehältern in Höhe von eins zu eins bei gleichzeitiger Umstellung von Bestandsgrößen wie Verbindlichkeiten und Forderungen in Höhe von zwei zu eins mußte für die produzierende Wirtschaft wie eine gewaltige Aufwertung wirken, die auch wettbewerbsfähigere und stabilere Volkswirtschaften als die der früheren DDR in den Ruin getrieben hätte.

Der Kollaps der DDR-Wirtschaft wurde mithin willentlich in Kauf genommen, freilich mit der Vorstellung, es handele sich bei diesem Politikmanöver um eine politisch induzierte kreative Zerstörung, bei der auf das Alte schnell ein wettbewerbsfähiges Neues folge.

Diese Rechnung ist nicht aufgegangen, auch deshalb nicht, weil die westlichen Unternehmen nicht bereit waren, ihre vorgesehenen Rollen in diesem Spiel zu übernehmen. Für sie war das Gebiet der ehemaligen DDR in erster Linie ein neuer Absatzmarkt, den es zur besseren Auslastung vorhandener Kapazitäten von heimischen Standorten zu beliefern galt.

Was sich, so gesehen, als fataler politischer Irrtum interpretieren läßt, ist freilich noch einer weiteren Deutung zugänglich. Der Crash- Kurs und seine ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Konsequenzen in Ost und West stehen, drittens, für die strukturelle Überforderung eines sklerotischen Parteienstaates, der die Herstellung der deutschen Einheit als ein riesiges, ertragsversprechendes Feld zur Befriedigung partikularer Interessen verstand, das von den reichlich sprudelnden öffentlichen Kassen genährt wird.

Indizien für eine solche Interpretation finden sich zuhauf. Wie bei der Entscheidung über den Umtauschsatz dominierte auch bei zentralen Fragen wie dem Umgang mit dem sozialisierten Vermögen der DDR die schiere Parteiideologie. Bedient wurde in diesem Fall vor allem die FDP und ihre Klientel, die sich mit ihrer Forderung nach Restitution durchzusetzen vermochten. Begünstigt wurden auf diese Weise insbesondere die alteingesessenen Haus- und Grundeigentümer sowie Immobilienspekulanten, die sich von der Rückgabe von Haus und Hof Profite versprachen.

Benachteiligt wurden aber auch alle potentiellen Investoren, die sich bei ihren Vorhaben mit einer Vielzahl Alteigentümeransprüchen konfrontiert sahen und nicht selten unverrichteter Dinge resigniert von dannen zogen.

Zu erinnern ist auch an die Durchstechereien der Treuhandanstalt. Die noch von der Modrow-Regierung auf den Weg gebrachte Treuhand wurde von einer marktgläubigen Kohl-Regierung als allmächtige Privatisierungsinstanz eingesetzt, bei der abgehalfterte Politiker, ausgemusterte Leitende Angestellte und Universitätsabgänger mit horrenden Gehältern und glänzenden finanziellen Zukunftsabsicherungen eine Politik des Ausverkaufs verfolgen, die weder auf regionale Stukturpotentiale noch auf Wettbewerbskonstellationen oder Beschäftigungsinteressen Rücksichten nimmt. Die Bemühungen, die jeweils eigene Klientel optimal zu bedienen, haben ein Bündel unkoordinierter, sich teilweise widersprechender Partikularstrategien hervorgebracht, deren Konsequenzen heute die Grundlagen des Modells Deutschland untergraben. Die Reaktionen auf diese Folgen lassen nicht auf sich warten. In gewohnter Manier wird mit einer Gürtel-enger-schnallen- und Alle- in-einem-Boot-Ideologie aufgewartet [sind es zur zeit nicht die steinbrüche?, d. s-in], die die Kosten der partikularen Bereicherungspolitik vor allem auf die schwächsten Teile der Bevölkerung verteilen will. Sollte gegen alle Erwartungen diese Verdrängungspolitik auf ernsthaften Widerstand treffen, besteht für den Bonner Parteienstaat keine Gefahr. Die in Somalia stationierten deutschen Truppen können im Ernstfall schnell instrumentalisiert werden, um wählerklientelübergreifende Solidaritäten zu erzeugen.

Kurt Hübner ist Dozent für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.