Die Verteilungskämpfe beginnen

■ Unter jedem Dach ein „Ach!“ (3/4) / Freiraum oder Schnürschuh: „Einer soll hopsgehn fürs Stadttheater“

Heute quasi eine Doppelnummer. Daß in unsrer kleinen Reihe mit Überlebenskämpfern diesmal Freiraum- und Schnürschuhtheater gemeinsam antreten, ist der Kultursenatorin zu danken: Sie hat die beiden Institute unter einem einzigen Haushaltstitel zusammengesperrt und dann das Geld um die Hälfte kürzen lassen. Jetzt ist die Bedrängnis groß.

Insgesamt 500.000 Mark waren in Helga Trüpels Haushaltsvorschlag für beide freien Theater vorgesehen; etwas weniger, als die trainierten Hungerleider bislang aus verschiedenen Töpfen zusammenkratzen konnten. Die Kulturdeputation aber hat am 18. Juni den Betrag im Handstreich auf 250.000 Mark erniedrigt: Am Morgen des Sitzungstages heckten die Sprecher der anderen Fraktionen eine eigene Tischvorlage aus, und schon war Senatorin Trüpels politischer Wille halbiert.

Selbst Senatsrat Opper von der Kulturbehörde geht jetzt davon aus, daß eines der beiden Theater schließen muß, „bevor man bloß noch die Armut verteilt.“ Er wolle auch keineswegs verheimlichen, sagt er, daß die Deputation „eine gewisse Sympathie für das Schnürschuh-Theater“ hege.

Die beiden Theater hingegen haben keine Lust auf den vorgesehenen Zweikampf; gestern riefen sie die Presse zu Hilfe. „Wir fühlen uns komplett verraten“, sagt Jürgen Müller-Othzen vom Freiraum-Theater. „Wir sollen hopsgehen, nur damit das Goethetheater auf seinen Millionen hocken bleiben kann!“ In der selben Deputationssitzung nämlich war die Sparquote, die im Jahre 1994 dem Bremer Theater abverlangt werden soll, von 2,6 auf 1,3 Millionen Mark ermäßigt worden.

Im Kulturrat, wo sich alle Theater seinerzeit Eintracht geschworen haben, fängt es deshalb schon an zu knacken: Die

Es knackt schon im Kulturrat

Vertreter der Freien Theater wollen, daß der Etat des Stadttheaters zu ihren Gunsten stufenweise um insgesamt 10 Prozent gesenkt wird. Und Jürgen Müller-Othzen hält „dieses seit Jahren nur noch schlappe“ Goethetheater sowieso für verzichtbar. Er schlägt stattdessen ein „Theaterhaus“ für die europaweit herumtourende freie Szene vor: „15 Mitarbeiter statt 300, fünf Millionen statt 50, und wir hätten wirklich mal ein Theater in der Stadt, von aufregenden Gastspielen bis hin zu professionellen Eigenproduktionen“.

Falls im wirklichen Leben das Freiraum-Theater mit der Hälfte des Restbetrages, also mit 125.000 Mark auskommen müßte, wäre neben der Miete von 50.000 Mark bloß noch ein einziger Mensch zu bezahlen. „Was soll der denn machen“, sagt Müller-Othzen, „als im Büro zu sitzen, Papierstapel umzuschichten und mit Zähnen und Klauen unsere Infrastruktur verteidigen, bis wieder andere Zeiten kommen?“

Vorbei wär's jedenfalls mit dem kleinen Zentrum für Bremens freie Szene, mit dem Ausbildungswesen und mit den nahezu wöchentlichen Gastspielen; ja das Freiraum-Theater würde sich wohl selber wieder gänzlich auf Achse begeben müssen. Auch ob es in Zukunft noch Festivals veranstalten wird, ist ungewiß: Bis Dezember will die Kulturbehörde eine Art Finanzierung zusammenzimmern. „Da müßte ich doch längst die Verträge unterschrieben haben“, sagt Müller-Othzen, „das heißt, wer hier überhaupt noch plant, steht schon mit einem Bein id der Halblegalität.“

Auch das Schnürschuhtheater fürchtet die Gesetzlosigkeit: „Wie sollten wir sieben Leute mit dem Geld auskommen?“ sagt der Schauspieler Reinhard Lippelt. „Drei, vier Stellen bestreiten wir mit unsern Einnahmen von 150.000 Mark, der Zuschuß würde da kaum die Miete und unsere Sachmittel decken; alles andere bedeutet: Schwarzarbeit, Arbeitsamtstrickserei.“

273.000 Mark waren dem Schnürschuh-Theater ursprünglich zugesagt worden; das Freiraum-Theater hatte mit 350.000 zu rechnen, 100.000 Mark für das nächste Festival inbegriffen. Ein Teil der Gelder stammte aus dem Topf für „unabweisbare Projekte“, der einmal eingerichtet worden war, um den Opfern des ABM-Kahlschlags wenigstens einen Bruchteil der Ausfälle zu ersetzen. Umso bitterlicher nehmen die Projekte jetzt ihre Abweisbarkeit zur Kenntnis. Manfred Dworschak