Echt ätzende Gefühle

Nach dem Ausscheiden im EM-Halbfinale verstehen Deutschlands Kickerinnen die Fußballwelt nicht mehr  ■ Aus Rimini Ute Köder und Peter Unfried

Es tut so weh, wenn man verliert. Immer. Aber immer dann ganz besonders, wenn man tief in sich die Überzeugung birgt, es sei einem Unrecht widerfahren. Tief den Kopf in den Händen vergraben, kauerte die ansonsten doch stets auf die Heldinnenrolle abonnierte Heidi Mohr mitten im Spielfeld, nachdem sie den sechsten und entscheidenden Strafstoß gegen Italien verschossen hatte. Unansprechbar. Und Doris Fitschen, die Libera, mußte ein paar Meter weiter mit heftigsten Schluckbeschwerden kämpfen, als sie davon sprach, daß „Elfmeterschießen eben immer Glücksache“ sei.

„Meiner Meinung nach“, behauptete wieder ein Stückchen daneben trotzig Silvia Neid, Kapitänin der deutschen Frauschaft nach dem Halbfinalausscheiden, „sind wir klar die beste Mannschaft bei diesem Turnier.“ Und dennoch nur im Spiel um Platz drei vertreten, wo man es am Samstag im Adria-Badeort Cesenatico mit den Däninnen zu tun bekommt. Ein ungewohntes Gefühl für die 29jährige, die bisher (1989 und 1991) stets nicht nur diejenige war, die am Ende den Pokal als erste in die Höhe stemmen durfte, sondern immer auch am Sieg hauptsächlich beteiligt.

Und dieses Mal? Lief das Spiel an der Siegener Blumenausfahrerin vorbei wie an italienischer Einwohnerschaft und deutscher Strandbesatzung von Rimini. Eigentlich hätte sie sich in der Spitze mit Heidi Mohr abwechseln sollen: dort tauchte sie aber nur selten und nie effektiv auf. „Es war“, fand die Rekord-Nationalspielerin in Einsatz Nummer 71 schnell heraus, „vorne immer ziemlich eng, weil sich die Italienerinnen nur hinten reinstellten.“ Was, etwas vereinfacht ausgedrückt zwar, die Sache einigermaßen trifft.

„Die Italiener kennen uns natürlich sehr genau“, sagte der DFB-Trainer Gero Bisanz. Von den zwei Halbfinalniederlagen bei den vorangegangenen Kontinentalmeisterschaften und jener bei der WM in China nämlich. Und daraus hatte Trainer Sergio Guenza den durchaus weisen Schluß gezogen, daß es wenig Sinn mache, dem läuferisch und technisch überlegenen Gegner Raum für seinen Kombinationsfußball zu bieten. So werkelten die Arbeitsbienen der blauen Squadra am Zukleben der Löcher, während vorne in majestätischer Einsamkeit ihre Königin Carolina Morace auf ihren Einsatz wartete.

Die 29jährige ist Italiens populärste Kickerin, jeden Sonntag präsentiert sie im Privatsender Tele Monte Carlo die Sportsendung „Galagol“, und gerne nutzt die „mediterrane Schönheit“, wie sie die italienische Presse zu nennen beliebt, dieses Forum, um der staunenden Öffentlichkeit eigene Treffer vorzuführen. Demnächst kann sie wieder, denn nach 65 Minuten köpfte sie das 1:1. „Ein Scheißtor“, befand, von der Mittelinie aus zuschauend, Silvia Neid, und Trainer Bisanz haderte mit Manuela Goller: „Wenn die Torhüterin früher eingreift ...“, vermutete er, hätte sie den Ball gehabt, möglicherweise. Doch die Isbert-Nachfolgerin blieb eben auf der Linie.

Und somit kippte das Spiel, obwohl die Deutschen, wie Gero Bisanz meinte, „nach dem 1:0 eigentlich so gut gespielt haben, wie ich das gewohnt bin.“ Bisweilen schnell, direkt, kombinationssicher, wie man kickende Frauen selten zu sehen bekommt. So wie beim 1:0, als die hessische Seite mit der Battenbergerin Austermühl, der Neu-Praunheimerin Bornschein und der Frankfurterin Pohlmann sich links durchkombinierte und letztere den Ball dorthin bugsierte, wo er am besten aufgehoben ist. Zu Heidi Mohr nämlich, die antrat, zutrat, traf. Treffer Nummer 45 im 58. internationalen Einsatz für die Sportartikel-Lageristin. Der 46. folgte nicht mehr, und auch der alles entscheidende Strafstoß des Elfmeterschießens landete nicht im Netz, sondern in Torfrau Brenzans Armen. Was die Pfälzerin in tiefe Verzweiflung trieb.

Und Gero Bisanz ins Philosophieren. Milde wehte eine Brise vom nahen Strand herüber, als der Mann im dunklen Anzug mit der Weisheit seiner 59 Jahre sprach: „So ist das eben im Fußball. Einmal trifft die eine Torjägerin. Dann die andere. Und am Ende entscheidet das Glück.“ Mal eben für die einen, mal auch für die anderen, wenn man Bisanz' Gedankengang fortzusetzen wagt. Und beileibe nicht immer hundertprozentig gerecht.

„Es ist echt ätzend“, hat Silvia Neid gesagt, und nachdem der erste Frust etwas gewichen war: „Ich hoffe, der Trainer wird uns so motivieren, daß wir das Turnier wenigstens nicht als Vierte verlassen.“ Die Besten werden sie sich in den nächsten beiden Jahren offiziell nicht mehr nennen dürfen. Doch gegen die biederen Kickerinnen und Rusherinnen aus Dänemark wollen sie zumindest zeigen, wie gut sie eigentlich sind.

Deutschland: Manuela Goller - Doris Fitschen - Birgit Austermühl, Anouschka Bernhard, Jutta Nardenbach - Silvia Neid, Dagmar Pohlmann, Bettina Wiegmann, Maren Meinert (55. Gudrun Gottschlich) - Katja Bornschein (91. Britta Unsleber), Heidi Mohr

Zuschauer: 1.500; Tore: 0:1 Mohr (57.), 1:1 Morace (64.)

Italien: Brenzan - Iozzelli - Salmaso, Bavagnoli (99. Guarino), Cordenons - Mariotti, Ciardi, Marsiletti, Ferraguzzi - Fiorini (58. Baldelli), Morace