China und Tibet: Schwieriger Dialog auch im Exil

■ Gespräche unter DissidentInnen erst seit 1989 – und nur im Ausland – möglich

Berlin (taz) – Wer am 25. Mai den Barkhor, den alten Pilgerweg rund um den Jokhang-Tempel im Zentrum der Altstadt von Lhasa, besuchen wollte, fand sich unversehens vor einer Schranke aus Eisensperren wieder: Einen Tag nach den jüngsten Protesten gegen die chinesische Herrschaft über Tibet hatten die Behörden dafür gesorgt, daß es hier künftig keine Demonstrationen mehr geben kann.

Wie ausländische Touristen berichteten, waren über Nacht etwa 1,40 Meter lange Eisenstangen in den Straßen abgelegt worden, die dann von Bauteams im Abstand von 10 bis 15 Zentimetern in den Boden gerammt wurden. Schmale Durchgänge alle zweihundert Meter ermöglichten es, die Straße zu überqueren. Mehr als hundert Menschen wurden in jenen Tagen nach Angaben von Menschenrechtsgruppen in Lhasa festgenommen.Angesichts der forcierten Besiedlung Tibets, der die TibeterInnen zur Minderheit im eigenen Lande macht, und der unaufhaltsamen Zerstörung von Orten, die tibetische Kultur und Eigenständigkeit symbolisieren, hat der Dalai Lama jüngst bei der Wiener Menschenrechtskonferenz von einem „kulturellen Völkermord“ gesprochen. Während es international eine zunehmende Sensibilisierung über die Entwicklung in Tibet gibt, stellen in China selbst regierungskritische Intellektuelle die Tibet-Politik ihrer Regierung kaum in Frage. Ansätze für einen „sino-tibetischen“ Dialog zwischen dem Dalai Lama und der Regierung in Peking kamen bereits 1989 zum Erliegen. Seit jenem Jahr, in dem Demonstrationen von TibeterInnen in Lhasa und ChinesInnen in Peking blutig unterdrückt wurden, kann ein solcher Dialog nur in Exilantenkreisen stattfinden. Die Ereignisse von 1989 führten im Ausland erstmals TibeterInnen und chinesische DissidentInnen im Protest gegen das KP-Regime zusammen.

In Deutschland fand im Mai 1990 ein erster „sino-tibetischer Dialog“ statt. Unter Beteiligung von Tibet-Gruppen und der Heinrich-Böll-Stiftung trafen sich damals je zehn Tibeter und chinesische Studenten. Daran knüpfte am vergangenen Wochenende ein gemeinsames Seminar mit der „Tibet-Initiative-Deutschland“ im schleswig-holsteinischen Malente an.Es ist kein einfacher Dialog: Während sich Vertreter der wichtigsten Exilorganisation chinesicher Oppositioneller, der „Föderation für ein Demokratisches China“ (FDC), mit ihren Überlegungen über eine bundesstaatliche Lösung zwischen China und Tibet vom bedingungslosen Anspruch der chinesischen KP auf Tibet distanzierten, blieben sie doch noch weit von einer Anerkennung der tibetischen Forderung nach Unabhängigkeit entfernt. Eine solche Anerkennung würde die FDC bei ihren Landsleuten zu sehr ins Abseits manövrieren. Die anwesenden TibeterInnen aber konnten dem Vorschlag ihrer chinesischen GesprächspartnerInnen angesichts bitterer historischer Erfahrungen nur mit Skepsis begegnen.

Der Desinformation der chinesischen Bevölkerung über Tibet entgegenwirken

Zudem haben beide Seiten mit vielfältigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Außer in der Schweiz, wo vielleicht zweitausend TibeterInnen leben, gibt es in den übrigen europäischen Ländern sehr kleine tibetische Gemeinden. In Deutschland leben etwa sechzig, in den Niederlanden zwanzig TibeterInnen, hieß es in Malente. Die Situation bei der chinesischen Exilorganisation wiederum ist von personellen und finanziellen Problemen gekennzeichnet. Nur wenige AuslandsstudentInnen sind bereit, sich in der innenpolitisch äußerst heiklen Tibet-Frage zu exponieren. Vier Jahre nach Tiananmen ist überdies das politische Interesse gesunken.

Die Dimension des „sino-tibetischen Dialogs“ mag sehr bescheiden sein: seine Bedeutung läßt sich nur ermessen, wenn man sich die totale Desinformation der chinesischen Bevölkerung über Tibet vor Augen führt. Dies gilt auch für die StudentInnen, die ihr im chinesischen Bildungssystem in besonderem Maße ausgesetzt sind. Hier knüpft ein Projekt der FDC an. Sie läßt derzeit eine umfangreiche Materialiensammlung zu Tibet ins Chinesische übersetzen, die sich zunächst an die AuslandschinesInnen richtet. Darin finden sich sowohl die amtliche chinesische Version der Lage in Tibet – wie sie im jüngst veröffentlichten Weißbuch zum Ausdruck kommt – wie auch die Haltung der tibetischen Exilregierung, Texte unabhängiger internationaler Organisationen und prominenter Personen wie Petra Kelly und relevante Dokumente. Noch allerdings sind die finanziellen Mittel für dieses Projekt erst teilweise gesichert.

Das Vorhaben wäre jedoch ein wichtiger erster Schritt, um Informationen über die tatsächliche Lage in Tibet eines Tages nach China selbst hineinzutragen. Nur so besteht die Chance, daß sich bei einer künftigen Demokratisierung im Reich der Mitte auch die Lage in Tibet zum Besseren wendet. Günter Whittome