„Novel Food“ auf dem Einkaufszettel

■ Harsche Kritik an EG-Entwurf über genmanipulierte Lebensmittel

Bonn (taz) – Matschfeste Tomaten, Brot, mittels Turbo-Hefe im Schnellverfahren hergestellt, kalorienfreies Eis: So soll – dank Gentechnik – die Nahrung der Zukunft aussehen. Jedenfalls, wenn es nach dem Willen der EG-Kommission und ihrem Verordnungs-Entwurf „Neuartige Lebensmittel und neue Lebensmittelzutaten“ geht. Auf einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag übten am Mittwoch mehrere Umwelt- und Verbraucherverbände harsche Kritik an dieser Verordnung.

Tatsächlich weist der Entwurf der Brüsseler Behörde, der Kennzeichnungspflicht, Sicherheitsvorkehrungen und Zulassungsprüfungen regeln soll, eklatante Schwachstellen auf. So beschränkt sich der Geltungsbereich auf Lebensmittel, die quasi als Ganzes gentechnisch manipuliert wurden. Gentechnisch hergestellte Zusatzstoffe, Enzyme und Aromen werden dagegen ausgeklammert. Da allein 60 Prozent der Nahrung enzymatisch verarbeitet sind, wäre somit dem „Novel Food“ ein Platz auf dem Einkaufszettel sicher, ohne daß die KonsumentInnen überhaupt wissen, ob nun ein Nahrungsmittel genmanipuliert ist oder nicht. Und deutsches Bier könnte weiterhin das Etikett „gemäß Reinheitsgebot“ tragen, obwohl die Gärung mit gentechnisch veränderter Hefe beschleunigt wurde. Völlig lax werden im Entwurf auch die Sicherheitsprüfungen für Novel Food geregelt. So ist weder eine Gesundheitsverträglichkeitsprüfung vorgesehen noch eine Beurteilung von unabhängigen Sachverständigen. Statt dessen kann sich der Hersteller von einem „einzelnen Experten“ das Unbedenklichkeitszeugnis ausstellen lassen.

Unzureichend seien weiterhin die Regelungen zur Kennzeichnungspflicht, bemängelten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), das Freiburger Öko-Institut und die Verbraucher-Initiative. Nach Angaben von Beate Fackelday von der Verbraucher- Initiative existieren auf dem europäischen Markt bereits genmanipulierte Zusatzstoffe, beispielsweise Lab-Enzym für die Käsereifung aus Dänemark und den Niederlanden. Molkereien bestreiten selbstverständlich, das künstliche Enzym zu verwenden.

Der Forderung nach umfassender Kennzeichnung von Gentechnik-Nahrung schließt sich auch das Europäische Parlament an, dessen Gesundheits-Ausschuß diese Woche den Entwurf diskutierte. Mit der Beratung erschöpt sich auch schon der Zuständigkeitsbereich des Parlaments. Denn ausschlaggebend für die Verabschiedung der Verordnung ist allein der Ministerrat. Dessen Linie ist alles andere als einheitlich. So lehnen etwa die Dänen den Kommissionsentwurf ab. Die deutschen Vertreter im Ministerrat fahren dagegen einen industriefreundlicheren Kurs: ihrer Meinung nach benötigten Zusatzmittel keine Kennzeichnung.

Die erste Lesung des Kommissionsentwurfs im Europäischen Parlament wird voraussichtlich im August stattfinden. Wird er dann in naher Zukunft von Gesundheitsminister Horst Seehofer und seinen europäischen Kollegen verabschiedet, so wird es auch hierzulande keinen gentechnikfreien Supermarkt mehr geben. Denn als Verordnung sind die Novel-Food- Bestimmungen direkt bindendes nationales Recht. Vor diesem Hintergrund besaß die Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch abend freilich den Charakter einer Farce. Myriam Schönecker