Organische Laute

■ Allerorten Tanzen angesagt: „Tribal Rave“ und „Love Parade“

Fünf Stunden dauert die Feier bestimmt. Wenn Madiakhat M'Boup und seine Söhne sich heute mit Marcos Lopez beim Hot Summer Groove treffen, erfordert auch der vierte Berliner Tribal Rave ihre ganze Konzentration. Nicht ein perfekt durchgestyltes Partysystem soll die Teilnehmer der musikpädagogischen Reihe zum Tanzen bringen, sondern etwas, das man früher schlicht Session nannte. Das Improvisationsspiel zwischen den Percussionisten aus Senegal und dem Discjockey von Globus und Gay Tea-Dance benötigte allerdings sorgfältige Vorbereitung. Die Zusammenarbeit von realen Trommeln und Live-Sampling wird schließlich nirgendwo gelehrt, und was bislang unter dem Label „Tribal-Techno“ aus Frankfurt kam, hat mit dem World- Dance des Tribal Raves nichts zu tun. Viele Proben waren deshalb erforderlich, bis sich die Kulturkreise einander angenähert hatten und die Kommunikation über Instrumente und Mischpult frei von Übersetzungsfehlern war.

Gerade diese Suche nach einer Sprache, welche die eingespielten Rhetorikmuster von House und Techno überwindet, beschäftigt Wolfgang Neugebauer, den Organisator des Tribal Rave. Dabei hatte er selbst mit seiner X.D.P.- Crew den Boom des Club- und Partybetriebs mitinitiiert. Seine früheren Tätigkeiten sieht Neugebauer inzwischen jedoch mit der Distanz eines Historikers: Die harten Klänge des „Tekknozids“ versteht der ehemalige Ost-Berliner als Ausdruck eines mittlerweile überholten Gefühls, das aus der plötzlichen Konfrontation mit der westlichen Wirklichkeit wuchs; die Entwicklungen des Trance wiederum, dem X.D.P. nach der Technoabfahrt ein Forum im Quartier geboten hatte, hält er für verpopt und zeigt sich erschreckt darüber, „was man angerichtet hat mit der Musik“. Aus der ursprünglichen Raver-Gemeinde seien wieder ganz normale Konsumenten geworden, und die Produzenten von House und Techno griffen nur noch auf Oberflächensounds zurück. Rituelle Massenveranstaltungen, die diese Entwicklung mit gerade einmal halbstündigen Auftritten der DJ's fördern, lehnt Neugebauer deshalb ab. Es wundert also nicht, daß sein Tribal Rave fernab der Love Parade im Rahmen einer zwölftägigen senatsgeförderten Veranstaltung stattfindet, die mit Workshops, Diskussionsrunden und Konzerten schon seit dem 24. Juni auf sinnstiftende Jugendarbeit setzt.

Egal, ob Neugebauer tatsächlich neue alte Maßstäbe setzen kann – der Zusammenklang von Madiakhat M'Boup und Marcos Lopez ist bemerkenswert. Der letzte Rave im Huxley's ließ Trommeln und Gesang in angeregter Spannung zu den Rhythmen und Tönen sprechen, die Lopez den organischen Lauten behutsam entgegenschweben ließ. Nichts war schmückendes Beiwerk. Selbst die afrikanischen Chöre vom Band hatten ihre feste Funktion: Sie kündigten immer neue Höhepunkte an, zwischen denen lebhafte Emotionen und freundlichmeditative Stimmungen Platz fanden und die Tanzenden gleichermaßen begeisterten.

Ganz in Konkurrenz zur Love Parade, die in diesem Jahr ihr fünfjähriges Jubiläum zelebriert, mag sich aber auch Neugebauer nicht stellen. Die Feier im öffentlichen Haus wird früh genug enden, um den Besuchern rechtzeitiges Eintreffen in den Clubs zu sichern, in denen sich die Love Nation nach der Ku'damm-Parade auflösen wird. Während u.a. Exit, Tresor und Twirl eher Sonderprogramme für ein ausgewähltes Publikum präsentieren, können sich in der stark beworbenen Halle in Weißensee laut Ankündigung bis zu 5.000 Gäste neben 20 namentlich genannten Acts wie Westbam, Dick, Marusha, Tanith, Kid Paul, Laurent Garnier, Carl Cox, Cirillo, Phrenetic System, Microboots, Genlog und The Jeyenne noch „viele mehr“ zu Gemüte führen. Wesentlich bescheidener gibt sich die Party im Huxley's. Mit nur sechs Discjockeys will Mitveranstalter Dr. Motte gemütsberuhigenden House wieder aufleben lassen: Jeder DJ soll genügend Zeit haben, seine Sound langsam zu entwickeln – Neugebauer und Motte ziehen letztendlich am selben Strang. Claudia Wahjudi

Love Parade: 16 Uhr ab Wittenbergplatz. Tribal Rave: Weiße Rose, Martin-Luther-Str. 77, Schöneberg, ab 20 Uhr.