Angebot soll Bonnern Beine machen

■ Diskussion um Umzugstermin: Senat offeriert dem Bundeskanzler Altes Stadthaus zur Zwischennutzung / Berlin-Befürworter für schnellen Umzug / Wirtschaftssenator: Unsicherheit blockiert Investitionen

Zahlreiche Politiker haben sich am Wochenende erneut für einen schnellen Umzug von Bundesregierung und Bundestag nach Berlin eingesetzt. Auch der Senat machte Druck. Zur Beschleunigung des Umzuges bot er Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) formell das Alte Stadthaus im Bezirk Mitte als Zwischenquartier an, bis der Neubau des Kanzleramtes im Spreebogen fertig ist.

„Wenn der Bundeskanzler Interesse hat, in die Räume zu gehen, dann wird der Senat keine Sekunde zögern, die Voraussetzungen für diese Idee zu schaffen“, sagte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) der Berliner Morgenpost. Schon in wenigen Monaten könnten „Stück für Stück der äußerst attraktiven Räume zur Verfügung stehen“. Das Angebot sei im Senat umfassend erörtert worden, nachdem die Bundesregierung auch verstärkt über Gebäude-Zwischennutzungen nachdenke. „Wir füttern Bonn mit Überlegungen, einen Umzug möglichst kostensparend zu realisieren“, betonte Hassemer.

Sogar einen sofortigen Umzug von Parlament und Regierung sowie einen Baustopp bei allen Neubauten in Bonn forderte Sachsen- Anhalts Ministerpräsident Werner Münch (CDU). In einem Interview der B.Z. sagte er: „Das Parlament sollte unverzüglich mit den Umzugsvorbereitungen beginnen. Dann könnte es spätestens in zwei Jahren seine Arbeit in der Hauptstadt aufnehmen.“ Schon jetzt sei für die Bundesregierung in Berlin mehr Platz als in Bonn. Der Umzug sei eine Frage des Wollens, nicht des Könnens.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Kurt Faltlhauser, der nach eigenen Angaben vor zwei Jahren für ein Verbleiben in Bonn votiert hatte, unterstützte den Vorschlag von Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, der 1998 als realistisches Datum für den Umzug genannt hatte. Im RIAS äußerte sich Faltlhauser überzeugt, daß sich dieses Datum durchsetzen werde.

Auf eine rasche Umsetzung des Berlin-Beschlusses drängten auch hessische Bundestagsabgeordnete. In einer Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sprachen sich 14 von 18 Parlamentariern dafür aus, daß Regierung und Bundestag 1998 ihre Arbeit an der Spree aufnehmen. Die Folgekosten einer auf ungewisse Zeit verschobenen Entscheidung schlügen teurer zu Buche als die finanzielle Belastung des Umzugs, mahnten Vertreter aller Parteien, darunter auch einstige Bonn-Befürworter. Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) verwies darauf, daß durch die Unsicherheiten über den Umzug Investitionen in Milliardenhöhe in Berlin blockiert würden. Der Morgenpost sagte er, Investitionen in Höhe von zehn bis zwölf Milliarden Mark in Berlin würden sich verzögern oder aufgeschoben, weil die Investoren auf eine Entscheidung über den Umzug warteten.

Die „Hinhaltetaktik einiger Politiker“ kritisierte auch der Vorsitzende der Geschäftsführung von IBM Deutschland, Hans-Olaf Henkel. Er halte es für sachlich falsch, den Umzug vom Rhein an die Spree aus Kostengründen zu verschieben, sagte er dem Tagesspiegel. Zugleich forderte er mehr Bescheidenheit von Bonn. Dann könnten schon heute einige Ministerien in Berlin arbeiten. Henkel brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, „daß man im Reichstag mindestens genausogut tagen kann wie im Wasserwerk“.

Zur Beschleunigung und Verbilligung des Umzuges votierte der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus, Michael Cramer, für einen Verzicht auf den Bau des Eisenbahntunnels unter dem Tiergarten und den Neubau des Lehrter Stadtbahnhofes als Zentralbahnhof. In einem Brief an Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) erklärte er, daß damit zwei Milliarden Mark gespart werden könnten. Eine Erschließung des Regierungsviertels auf „Straßenbahnbasis“ sei in drei statt in 13 Jahren realisierbar und koste nur 264 Millionen Mark statt zwei Milliarden Mark. ADN