Unser ewiges Theater

■ Die neueste Krisenpanik ums Stadttheaterwesen zeigt: Der große Streit ist überfällig, sogar in Bremen / Ein vorauseilendes Geleitwort

Was anstellen mit dem Bremer Theater? Vor unsern Augen mümmelt es dahin und kostet. Es kostet 40 Millionen, was ein enormer Pflegesatz ist, und es wird nicht jünger.

Die Debatte, die jetzt anhebt, wird folglich so aufgewühlt und wirrköpfig geführt werden, wie wir es von den andern Euthanasiedebatten gewohnt sind; ich sehe es kommen. „Weg mit der Langweileranstalt!“ ruft's vatermörderisch aus der Freien Szene, führende Sparpolitiker schmunzeln versonnen, und dem Theater selber ist auch schon ganz schummrig, da seinesgleichen auf einmal sog. Gegenwert beweisen soll.

Das Berliner Schillertheater geht in den Abgrund voran, und die Frage ist, ob, wer „Schiller“ sagt, auch „Goethe“ sagen muß. Wenn selbst August Everding, der Majestix unter den Theaterpopanzen, schon nervös wird und im Bühnenverein vom Sparen spricht, wie muß da erst unsere süße kleine Langweileranstalt am Goetheplatz schlottern? Tja, wie ist es denn: Bringt das Bremer Theater genügend Kunst unter die Leute für seine 40 Millionen? Schon wird es bleich. Dabei stelle ich die Frage nur, um auszurufen: Was für ein Quargel, diese Frage! Ruhe bitte! Hat je ein Theater Kunst hergestellt, von den freien Gruppen gnädig zu schweigen?

Ein Theater macht alles mögliche: Wirbel, Unfug, von sich reden, aber doch keine Kunst. Das kann es nicht. Dazu ist es, im besten Fall, zu populär und im schlechten, dem üblichen Fall, zu zerstreut. Meine Güte, es gibt hie und da geniale Schauspieler, die einem Künstlerdasein nahe kommen; aber kein Theater kann damit rechnen. Und wenn, dann nützt es nichts, weil der Apparat wie alle Apparate aus Größe und Kleinlichkeit das statistische Mittel erzeugt und weil das ganze mäkelsüchtige, immer gelangweilte, chronisch unentschlossene Publikum ja auch noch dem Theater angehört. Es ist unbedingt ein mitwirkender Teil des Theaterwesens, sogar der wesentliche und wesenseigentliche, noch wesentlicher als die Intriganz der eitlen Schauspieler, die Schlurihaftigkeit der Intendanten oder die Mittäterschaft der Presseschurken.

Nie hat es wirklich eine Rolle gespielt, ob beispielsweise das Bremer Theater nun groß, „aufregend“ und kunstreich genug

Soweit hat es kommen müssen, daß das Theater nicht mehr recht weiter will Foto: Wolfram Steinberg

sei; immer aber und mit übermenschlicher Ausdauer fand das Publikum sein Theater zu irrelevant und zu bedeutungsschwer, zu fad und zu schrill, und indem es das fand, kam es seiner Publikumspflicht nach. Es hierin zu befeuern, ist der ganze, mindestens vornehmste Zweck des Theaters.

Das Nörgeln also, ob das Theater redlich sein Kunstquantum abliefere, bringt die Debatte nicht voran; es ist vielmehr schon selber ein Teil des Theaters, und vielleicht der reizendste.

Im übrigen wird ein Stadttheater naturgemäß seiner Stadt ähnlich sehen. Es ist demnach sterbensöd und von Profilneurotikern zerrüttet, es ist eine Goldgrube für Abzocker, ein Exerzierfeld für Tarifpolitiker: ja genau, auch das Gewerkschaftsre

hierhin bitte

das Foto mit der

großen Pistole

giment ist jetzt in Bremen schon als Thema entdeckt. Kurzum: Das Stadttheater ist immer viel zu schlecht, aber doch nur, damit wir wonnevoll illusionslos alles durchschauen.

Als solches allerdings ist das Theater ein klasse Stoff für den alten Zoffer und Haderer in uns, für den Strategiespieler und Streitversessenen, für den klirrenden Zyniker und das anhimmelnde Schwarmseelchen. Es hat das Stadttheater, wenn es gut ist, für den ganzen Menschen was zum Aufbrausen, Abwinken und Schnutenziehen.

Und das ist gar nicht wenig. Somit leidet nämlich auch folgendes keinen Zweifel: Indem wir uns ums Theater balgen, beleben wir es. Ja die Lage ist im Grunde schon vollends hegelianisch: Indem wir seine Abschaffung fordern, retten wir es. Wer es loswerden will, lasse alle Hoffnung fahren; es ist ewig, der Volksmund weiß es. In zwanzig Jahren ist dann alles Gezänk eine goldene Erinnerung und heißt Hübner-Ära usw.

Hinterrücks aber hat sich inzwischen die Frage erhoben, was uns diese Weisheit nützt, da doch die Theater selber schon nicht mehr recht weiter wollen. Nun, sie nützt der Debatte, indem sie sie dringend fordert und vorsorglich beruhigt. Man soll um das Theater streiten, so heftig es geht, man soll für Reform, Restauration oder Abschaffung entbrennen; aber man soll sich nicht immer mit dem Kunstanspruch Kopfsausen machen. Kunst im Theater ist ein Schmarrn, und Kunst, die ohne mordsmäßige Maschinerie und neun Umbautage nicht herstellbar sein soll, erst recht. Das heißt: Wieviel Geld das Theater kriegt, ist hinsichtlich der Kunst ziemlich zweitrangig, da müßte sich niemand aufregen.

Es kann gerne auch die Hälfte sein. Man darf, nur zum Beispiel, die Oper schließen, das große Haus verkaufen, die Werkstätten entvölkern, einen Haufen Leute entlassen und das Aus

sterben des wunderbaren Rüstmeistersberufes in Kauf nehmen; man hätte ohne Kunstverlust in zehn Jahren ein Schauspiel für fünf Millionen. Die Frage ist nicht, wie großmächtig das Theater zu sein habe und ob man mit lächerlichen 40 Milliönchen oder demnächst noch weniger ein Dreispartenhaus simulieren kann. Die Frage ist, wie klein ein Theater eingestandenermaßen, ich darf wiederholen: eingestandenermaßen sein muß, damit das Geld reicht.

Daß es locker reicht und daß es auf zehn Jahre reicht, ist das

Das Schillertheater geht in den Abgrund voran, und die Frage ist, ob, wer „Schiller“ sagt, auch „Goethe“ sagen muß. Schon schlottert sie, unsre kleine Langweileranstalt am Goetheplatz. Tja, wie ist es denn: Stellt man dort Kunst her im Gegenwert von 40 Millionen?

Wichtigste; daß man zum Zoffen und Palavern ein Institut in der Stadt hat, welches, wie klein es auch sei, sich nicht auf Geldmangel und die Qualen der Selbstausbeutung hinausreden kann; daß man also eine Gelegenheit hat zum mitleidlosen Politisieren. Das ist die letzte Bürgerfreiheit und das erste Rabaukenrecht! Wehe, das geht nicht mehr! Die Sportsfreunde haben Werder, die Kulturfreunde sollen ihren Ärger mit dem Theater nicht missen müssen.

Dieses kann man meinetwegen halbieren oder auf den Kopf stellen. Man muß nur scheußlich genug sein, es zu wollen, und man muß den öffentlichen Streit aushalten, auf den ich mich hiermit von Herzen freue und in dem ich sofort wieder auf die Seite der Verteidiger überwechsle. Die unentschlossene Erdrosselei aber schadet dem Theater wirklich und sehr. Es schmälert das Ansehen des Instituts, wenn man's am langen Arm eingehen läßt, es laugt die Streitlust aus, es

läßt stadtweit die Leidenschaften ermatten und neue Nahrung suchen. Davor sollen sich übrigens die Sparkommissare fürchten: Daß einmal das frei flottierende Publikum auf die Ränge der Bürgerschaft geströmt käme, weil das andere Stadttheater noch narkotischer seine Wirkung tut.

Ja, das gequälte Geknapse und Gewürge seit Jahren und auf Jahre hinaus, das halb heimliche Suchen nach Intendanten, die bereit sind, immer im Dienste der Kunstrettung mit der schleichenden Verknappung und Verblödung und Ermattung quasi im Komplizenstand zu leben, das alles und nur das ist ruinös. Es entwindet das Theater aus purer Ängstlichkeit seinem Publikum und liefert es den Rettern aus, diesen älteren Herren, die so schön von der Kunst reden können, und hinterher muß man das Geld nachzählen.

Auch insofern will ich die geheimhalterische Delikatesse, mit der die Kultursenatorin jetzt ihre Theatergeschäfte betreibt, als ein theaterschädliches Verhalten brandmarken. Als wäre das Theater ein pingeliges Pflänzchen, welches keinen Luftzug und keine Debatte verträgt! Die Wahrheit ist: Etwas Robusteres als ein Theater gibt es nicht - im Falle, daß alle mitspielen dürfen. Nur die publikumsferne, anspruchsklamme Kunstanstalt, die es nie gegeben hat, nur diese neigt dem Untergang zu. Nur diese verschwindet, wenn ihr die Pose nicht mehr bezahlt wird, aus der sie besteht. Nur diese läßt sich von Intendantendarstellern einseifen, um gleich wieder im Verborgenen nach dem nächsten zu suchen.

Nein, wer das Theaterleben wieder in Schwung bringen möchte, muß es schon ein wenig aufs Spiel setzen. Wollen wir vielleicht gar kein Stadttheater mehr? Lieber ein Gastspielhaus nach Art der Hamburger Kampnagelfabrik, wo sich die international vagabundierende freie Szene trifft? Wer soll's kriegen?

Niemand? Sind drei prima Festivals im Jahr besser als ein rundum fader Dauerbetrieb? Soll das Bremer Theater doch bleiben, aber umgekrempelt werden? Jungen Leidenschaftlern anheimfallen? Ratzeputz strukturell entrümpelt? Soll man den Häusern andernorts tapfer vorangehen und in Bremen den ersten einheitlichen Tarifvertrag zu erkämpfen statt derer jetzo sieben? Soll man Produktionen mit flexiblen Teams aus Technikern und Künstlern machen, anstatt jedesmal den ganzen Apparat anzuschmeißen?

Und wieviele Sparten sollen bleiben? Welche? Muß eine Schauspielbühne für alle was im Repertoire haben oder dürfte sich ein billiges Haus auch mal spezialisieren, sagen wir auf Gegenwartsstücke, verbunden mit Wettbewerb und Festival? Will man sich vom gesparten Geld viele Gastspiele leisten, sollen große Namen her dann und wann? Oder soll's lieber ein Ort der Einkehr und womöglich des Ausschanks sein, ein kleines Zentrum zum Hocken und Gucken, ein kleines Schauspiel, angereichert mit Videosalons, Zeitungslesezimmern und einer Volksküche?

Die ganze Theaterrepublik ist ratlos. Warum sollte unsere kleine Stadt in der fälligen Generaldebatte nicht die Vorreiterschaft übernehmen? Man müßte halt die Entscheidung über das Zeitalter nach Heyme um ein Jahr vertagen, man müßte souverän genug sein, ein Moratorium zu verhängen. Das Theater könnte sich so lange selber regieren; es ginge ohne weiteres. Für das eingesparte Intendantengehalt könnte man gleich einen Kongreß machen mit Podien und Fachleuten und aller nötigen Aufregung. Spätestens jetzt sollten doch restlos alle Fragen gestattet und eigentlich längst am Köcheln sein, spätestens jetzt, wo sich keiner von den alten Bescheidwissern mehr vor die Leute traut. Manfred Dworschak