Für Pleiten haften immer die anderen

Die Vorstellung einer reibungslosen Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsorgane bei der „Terrorismus- bekämpfung“ erweist sich immer mehr als Fiktion. Auch im Falle Bad Kleinen beäugen sich die Behörden mißtrauisch.

Getrennt marschieren, vereint zuschlagen – so stellen sich die Innenpolitiker in Bonn die Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik vor: Der Verfassungsschutz dringt in die extremistische Szene ein, das Bundeskriminalamt (BKA) wertet Hinweise nach Anschlägen und Fahndungsaufrufen aus, die Bundesanwaltschaft koordiniert, klagt an, die Terroristen kommen vor Gericht. Die Vorstellung der reibungslosen Kooperation erweist sich aber als Fiktion. Wo brisante Erkenntnisse vorliegen, werden diese eifersüchtig in den Panzerschränken zurückgehalten; wo nach Sachlage kooperiert werden müßte, beäugen sich die beteiligten Behörden mit Mißtrauen. Einen Erfolg möchte jeder auf seinem Konto verbuchen, die Pleite aber dem anderen in die Schuhe schieben.

Als der Verfassungsschutz im hessischen Lande Mitte letzten Jahres von der Existenz eines vermeintlichen Kronzeugen erfuhr, der das tödliche Sprengstoffattentat auf den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, aufklären helfen sollte, schloß sich die Karlsruher Bundesanwaltschaft mit dem hessischen Verfassungsschutz zusammen. Andere Behörden wurden übergangen. Selbst das BKA, das im Auftrag der Karlsruher Ankläger tätig wird, wurde ausgegrenzt. Schon damals wollte der jetzt geschaßte Generalbundesanwalt von Stahl den Erfolg ganz allein auf seinem Konto verbuchen. Vor laufenden Kameras konstatierte er hoffnungsfroh, neue Spuren über die Täter im Mordfall Herrhausen seien gefunden, der Tatverlauf ein ganzes Stück aufgeklärt worden. Als sich der Kronzeuge mit dem Namen Siegfried Nonne nur wenig später als psychisch wie physisch labil entpuppte, folgte die Schadenfreude der anderen Behörden auf dem Fuße. Wortreiche Entschuldigungen der Bundesanwaltschaft an die Kriminaler folgten, gepaart mit dem Versprechen, künftig bei ähnlichen Fällen wenigstens die jeweiligen Amtsspitzen der anderen Behörden einzuweihen.

Der Vorgang war über das peinliche Ende der Nonne-Affäre hinaus symptomatisch. Denn eigentlich hatte alles besser werden sollen. Nach dem tödlichen Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder, am 1.April 1991 wurde auf der Innenministerkonferenz knapp fünf Wochen später, am 3. Mai 1991, einstimmig beschlossen, eine „Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung“ (KGT) ins Leben zu rufen. Am runden Tisch der Sicherheitsbehörden nahmen Vertreter des BKA, der Bundesanwaltschaft, der Verfassungsschutzbehörden und die Gesandten aus dem Bonner Innen- und dem Justizministerium Platz. Vorrangig sollte mit der neuen Einrichtung erreicht werden:

– der umfassende und zügige Informationsaustausch zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Justiz,

– die systematische Auswertung aller Informationen,

– die Bewertung des Lagebildes, das vom BKA erstellt wird,

– die Festlegung der Schwerpunkte bei der Terrorismusbekämpfung und

– die Abstimmung der zum Einsatz kommenden polizeilichen und nachrichtendienstlichen Maßnahmen.

Die KGT sollte einerseits alle bisherigen Fahndungsmaßnahmen nach der Roten Armee Fraktion bündeln. Ausdrücklich wurde aber auch Wert darauf gelegt, daß die Mitglieder in der Koordinierungsgruppe Alternativen zu den bislang praktizierten (erfolglosen) Fahndungsmitteln erarbeiten sollten. Dem „nicht akzeptablen Fahndungsdefizit“ (BKA-Chef Zachert) sollte damit Rechnung getragen werden. Die KGT sollte das Expertengremium werden, das den politischen Entscheidungsträgern Handlungsvorschläge unterbreitet. Doch schon bald zeigte sich, daß die Differenzen unter den Sicherheitsbehörden auch die Arbeit des neuen Koordinierungsgremiums beeinträchtigten. Rund ein halbes Jahr nach ihrer Einrichtung hatte es die KGT nicht nur auf insgesamt 29 Sitzungen gebracht – sie hatte sich bereits in eine „große“ und in eine „kleine KGT“ gespalten.

Die sogenannte „Kinkel-Initiative“ (die Prüfung einer vorzeitigen Haftentlassung für mehrere langjährig einsitzende RAF-Gefangene und das „Versöhnungsangebot“ des damaligen Justizministers Kinkel an die RAF im Gegenzug für die Aufgabe des bewaffneten Kampfes) wurde anfangs im noch kleinen Kreis von den Vertretern der Bundesbehörden in der KGT diskutiert und nachhaltig unterstützt. Die im Gründungsbeschluß der KGT angedachte „entsprechende Länderbeteiligung“ wurde vom BKA aber in kürzester Zeit dazu genutzt, durch eine einseitige personelle Beteiligung der Landeskriminalämter die KGT zu dominieren. Fortan tagten abwechselnd das eine Mal die „große“, das andere Mal die „kleine“ KGT. Die Verfassungsschützer gingen auf Distanz. Die KGT, deren organisatorische Zentrale beim BKA angesiedelt wurde, entwickelte sich in ihren Augen zu einem reinen Zulieferbetrieb für die Wiesbadener Kriminalbeamten. Die KGT, urteilte resigniert im vergangenen Jahr ein hoher Verfassungsschützer, sei mittlerweile „ein reines Fahndungsinstrument“.

Die Vorbereitungen für den Einsatz in Bad Kleinen müssen nach Auftrag und Inhalt wenigstens in der kleinen Runde der KGT erörtert worden sein. Auch der „neue Fahndungsansatz“, den Generalbundesanwalt von Stahl via Nachrichtensperre aus der öffentlichen Debatte unbedingt heraushalten wollte. Hinter diesem neuen Ansatz verbirgt sich offensichtlich der Erfolg, erstmals seit Jahren an die Ebene der RAF-Aktiven über einen V-Mann des Verfassungsschutzes herangekommen zu sein. Daß der mörderischen Aktion auf dem Kleinstadtbahnhof eine längere Planungs- und Vorbereitungsphase voranging, ist von verschiedenen Behördenvertretern in der letzten Woche bestätigt worden. Zu einer Auswertung des Debakels in Bad Kleinen ist es in der KGT noch nicht gekommen. Eine für gestern anberaumte Sitzung kam nicht zustande. Wolfgang Gast