Vorbei die Zeit der Träume!

Lager-Visionen: „Hier genießen Sie Asyl! Wie kann jemand der flieht, genießen? ... Die Blicke sagten, „du gehörst nicht hierher“, die Hände entwickelten sich zu Fäusten“.  ■ Von Manuel Campos

Als Sie in meiner Heimat die Freiheit an die Wand stellten, uns und mit uns alle menschlichen Gefühle töteten, da hegte ich den Traum zu fliehen! Man sagte mir: „Folge der Ware, die Sie bei uns kaufen. Da wo sie ankommt, gibt es Schutz, Gesetze und gute Menschen.“ Ich habe alles aufgegeben. Nur die Hoffnung und den Traum nicht. Angekommen, hörte ich: „Hier genießen Sie Asyl.“ Ich wunderte mich! Wie kann jemand, der flieht, genießen? Einen Genuß kann nur die Heimat bieten, wo ich ICH sein kann, wo alle WIR sein können. Ich war gefangen in dem Gestrüpp der Gesetze. Die geträumte Freiheit entwickelte sich immer mehr zum Alptraum. Die Blicke, die mich verachten, sagten, „du gehörst nicht dazu“. Die Hände entwickelten sich zu Fäusten, die schlugen, meine hielt ich zur Faust geballt in der Tasche. Ich hatte zu verlieren. Das Leben änderte sich, denn seine Inhalte und Formen waren mir fremd und befremdeten mich. Beeinflussend und beeinflußt änderte sich auch meine Identität, bis ich mich selbst suchte und mein altes ICH nie wieder fand.

Ich glaubte nicht mehr den Worten, die die Lippen der Menschen beflügelten, weil sie niemals von ihren Herzen getragen wurden. Sogar die Liebe verwandelte sich in Haß, der tötete. Der gesuchte äußere Frieden zerstörte den inneren Frieden, weil keiner mehr Ruhe fand. Die Angst wurde größer und tiefer und immer unerklärlicher. Die Gewalt des Staates verlor die Gewalt über die Gewalt von Rechts, die Wahrheit stützte sich auf Lebenslügen, nie schaute man zurückblickend auf die Geschichte, aus Angst, doch etwas Vergleichbares zwischen heute und gestern finden zu können. Das Land wurde größer und doch kleiner. Gefallene Mauern auf der Erde entstanden immer wieder aufs neue in den Köpfen, und alle Grenzen verschwanden, sogar die des Anstandes und des Respekts. Die Demokratie ließ mich nach und nach ohne Rechte.

Es änderte sich auch das Gesetz, weil es mich als Gefahr und als fremd apostrophierte, und schließlich auch das Grundgesetz, das mir den anfänglichen Schutz bot.

Der Alptraum wurde Realität, die Sprache verräterisch: „Hier genossen sie Asyl!“ „Genossen?“ Waren es nicht Sie, die mir den „Genuß“ stahlen.

Ich dachte, meine Lage sei sicher, aber Sie allein waren Herr der Lage. Ihnen lag nichts daran, Ihre Ideale durch mich zu bestätigen, sondern lediglich, Ihr Reich abzusichern, die Armen zu verhindern, sich an Ihrem Reichtum zu beteiligen.

Ich geriet in größte Gefahr. Aber: Wie kann man aus diesem Lager fliehen? Privat wohnen darf ich nicht. Meine 18 Quadratmeter teile ich mit drei weiteren Personen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Sprachen. Sprachlos sind wir dadurch. Arbeiten könnte ich, aber wer nimmt mich? Fliehen ins Freie? Andere Leute besuchen? Aber die Gesetze verfolgen mich. Das Geld, das mir zur Vefügung steht, 81,– DM, muß für alles reichen. Das ist meine Beteiligung an dem Reichtum der Reichen.

Sie halten uns zusammen in einem Sammellager, ein winziger Waschraum für alle 40 Personen, Männer und Frauen, sowie eine einzige Toilette stehen uns zur Verfügung. Afrika, Asien, Europa sind hier, gesammelt in einem Zustand, als hätten Sie doch die Welt erobert. Der Alptraum, der meine Glieder im Lager lähmt, hat den Geist noch nicht besiegt. Und ich denke an eine neue Gesellschaft, an eine neue Welt, und entwickle meine Visionen:

– Weil ich schwarze Haare und dunkle Haut habe und die Vielfalt, die Harmonie in den unterschiedlichsten Tönen liebe;

– weil dieses Land manchmal einfarbig, einseitig, feindlich ist oder braun zu werden droht und ich lieber den Regenbogen sehen möchte;

– weil Du mich manchmal mit Haß in Deiner Seele anschaust, als wäre ich Dir fremd. Und wir sind alle Fremde und wie oft uns selbst fremd;

– weil Du allein nicht bestehen kannst, ohne mit mir zu sprechen, auch wenn ich es schwer habe, Deine Sprache zu verstehen;

– weil ich nicht zwischen zwei Türen bleiben oder draußen stehen will, sondern dieselben Chancen haben möchte wie Du und die Angst besiegen;

– weil diese eine Welt so mickrig im Universum dasteht und es sinnlos oder witzlos wäre, wenn Du behaupten würdest, Du bist mehr oder besser als irgendein anderer Mensch im Universum;

– weil wir nicht weniger werden, sondern mehr, und wenn wir uns nicht akzeptieren, werden wir uns hassen und gemeinsam untergehen, aber wir wollen weiterleben, zusammenleben;

– weil ich sensibel bin und mich von Dir angegriffen fühle, genauso wie Du sensibel bist und von mir Dich provoziert oder gefährdet fühlst und wir uns das laut sagen müssen;

– weil wir den Mut aufbringen müssen, uns die Wahrheit zu sagen, und dabei uns in die Augen schauen, anstatt uns ins Gesicht zu schlagen, zu spucken oder gar zu töten;

– weil ich inzwischen einen Teil von Dir und Deiner Heimat übernommen und in mir habe, und das hat mich in die Nähe Deiner Fremde gebracht;

– weil im Dialog mit Dir ich mir endlich erhoffe, eine hörbare Lautstärke für meine Stimme, meine Klagen und meine Wünsche zu erhalten, ohne schreien zu müssen;

– weil ich was von Dir erwarte, ohne enttäuscht zu werden, was von Dir verlange, ohne aufdringlich zu sein, was von Dir fordere, ohne daß Du Gefahr verspürst, was mit Dir teilen will, ohne daß Du es verweigerst, bevor es zu spät ist;

– weil ich anders bin als Du und trotzdem einer bin wie Du. Manuel Campos