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Pinkeln nur auf der Hauptstraße

Somalia liegt in Oberfranken: Dort üben die Bundeswehrsoldaten für ihren ersten Einsatz in Afrika / Soldaten spielen Dorfälteste gegen Blauhelme  ■ Aus Hammelburg Heide Platen

Der gelbe Staub haftet noch in Frankfurt an den Schuhen. Er stammt aus Somalia. Und das lag am Donnerstag in Hammelburg in Oberfranken und war runde 40 Quadratkilometer groß. Die Gebirgsjäger stellten die einheimische Bevölkerung des Kriegs- und Hungerlandes im Südosten Afrikas ganz zauberhaft dar.

„Bitte nicht mit Schuhwichse“, hatte eine Kollegin bei der Abfahrt der fünf Busse, in denen die rund 130 angereisten JounalistInnen verstaut wurden, gefleht. Vergeblich. Der Dorfälteste ist in Sackleinen gewandet, trägt den Turban stilsicher um den Kopf gewickelt, den Holzknüppel handgeschnitzt und schlicht ornamentiert und aus dem gerade mal zwanzigjährigen, geschwärzten Gesicht blicken blitzeblaue Augen. An der ersten Station unserer journalistischen Busladung auf Besichtigungstour, der mit den roten Punkten am Revers – außer uns gibt es noch schwarze, weiße, blaue und gelbe – üben die künftigen Blauhelme auf dem Gelände der Infanterieschule des deutschen Heeres um die Saaleckkaserne den Umgang mit den afrikanischen Einheimischen.

Ein Auto fährt an der Sperre des Basislagers vor, stoppt zwischen Natodraht und Nagelbrett. Ein Mann schreit nach „Daktar“ und „Hospital“. Eine verschleierte Frau wankt aus dem Wagen und zeigt ihre verbrannten Arme. Und jetzt wird es richtig ernst mit der Ausbildung der insgesamt 1.700 Soldaten, die hier in wechselnden Gruppen von dreimal 450 und einmal 380 Mann innerhalb von vier Wochen an je sieben Tagen wüstentauglich gemacht werden. Das Auto wird von einem Mann mit Metalldetektor durchsucht, MP- Schützen sichern ihn ab. Ein Holzmesser klappert auf den Boden, eine Kiste muß geöffnet werden, ein Begleitfahrzeug rollt an. Dann geht es, immer wieder verzögert durch das seltsame Lamentieren des Einheimischen, mit Begleitschutz zum „Daktar“.

Ausbilder Eitel übt hinterher Manöverkritik: „Vom Einheimischen mehr Abstand nehmen, Leute!“ Wegen des Knüppels. Sonst sei alles „goldrichtig“ abgelaufen, „keine Hektik, keine Panik“. Und noch eine Lektion für den langen Weg in die traurigen Tropen: „Das sind stolze Krieger.“ Deshalb: „Nie eine Frau ansprechen, sie nie berühren.“ Bis zum geplanten Abreisetag am 19. Juli muß das, zusammen mit der Vorabausbildung in den eigenen Kasernen, für alle „sitzen“. Dann wird der „Unterstützungsverband Somalia“ die 4.000 internationalen Blauhelme des UNOSOM-II-Verbandes bei ihren „humanitären Hilfsmaßnahmen“ als „logistische Unterstützung“ ergänzen.

Der 30jährige Martin Hammer wird in Somalia, sagt er, den Kontakt zum Technischen Hilfswerk halten. Ob er Angst hat vor dem Einsatz, der bis Mitte Dezember dauern soll? Ja schon, am meisten fürchtet er sich aber vor der Langeweile im Camp, vor dem Heimweh, das bei „jungen Wehrpflichtigen“ dann aufkommen könnte. Und außerdem? Vor der Presse und was die wohl über sie schreiben wird, wenn sie gezwungen sind, zu schießen „wie jetzt die GSG 9“. Sein Kind ist drei Jahre alt, seine Frau stehe hinter ihm: „Sie liebt mich. Es ist ein schöner Job, anderen zu helfen.“ Rund 80 Prozent der Soldaten, so die Presseoffiziere, sind Freiwillige.

Der nächste Übungspunkt, von denen es auf den Gelände 42 gibt, simuliert den Anmarsch der hungernden Bevölkerung auf ein zentrales Versorgungslager mit Nahrung und Medikamenten. Hinten steht eine weiße Bretterhütte, „UN“ steht oben drauf. Die neun Mann starke Menge wankt heran, vorneweg zwei Krieger, am blauen Gewand und dem Gewehr auf dem Rücken erkennbar. Sie taumeln und murmeln, heben bettelnd die Hände und rufen dauernd „Kiwi“. Das heißt, erhellt der oktavheftgroße, dünne Kurzsprachführer, gibis und bedeutet „Brot“. Auch andere Wörter können die Darsteller schon: joogso für halt, degdeg für schnell und mahadsanid, danke sehr. Nur ein einziger künftiger Blauhelm fällt in der Aufregung ins Heimatidiom zurück. „Weg mit ihnen!“ ruft er verzweifelt. Das tun seine verkleideten Kameraden mitnichten, die wollen stur weiter „Kiwi“. Das Gerangel verlagert sich vor die Schranke und bringt die Truppe, die – Eskalationsstufe 2 – die vorher gesenkten Gewehre vor die Brust hebt, unversehens aus der Deckung der sie sichernden Kameraden.

Nach dem Abbruch erfahren wir, daß es fünf Typen der „Übungsbevölkerung“ gibt: Krieger, Dorfbewohner, Bettler, Frauen und den Dorfältesten. „Immer erst mit dem verhandeln“, wird gemahnt. Der schwingt seinen Knüppel. Das Amulett, das ihm auf der Brust baumelt, ist allerdings eigentlich die Erkennungsmarke. Allmählich verteilen die Kollegen Noten. Von Laienschauspielern ist da die Rede am dritten Übungspunkt, angesichts soviel Litanei und Sackleinen gar von Passionsspielen. Irgendwer summt den 60er-Jahre-Ohrwurm: „Heißer Sand und ein verloorrenes Land und ein Leben in Gefaahr ...“ Hieß die Sängerin wirklich Mina? „Junge, komm bald wieder ...“ ist einfacher. Das war Freddy Quinn. Die Jungens vom dritten Übungspunkt haben, wenn nicht den Frieden, so doch eindeutig den internen Kleinkunstpreis der rotgepunkteten Journalistengunst gewonnen. Sie hocken auf einer Brücke und blockieren sie. Und sie sind, diesmal englisch, Spitze im Dialog. „We are so hungry!“ – „My soldiers too!“ Etwas später: „I want to go over the bridge!“ – „No, it's my bridge!“ – „My general gives me the orders!“ – „And general Aidid gives me my orders.“ And so on.

Derweilen klauen die Krieger Reissäcke und verschwinden im in Klein-Somalia reichlich vorhandenen Gebüsch. Auch die auf die Wagen aufspringenden Männer läßt sich die Friedenstruppe nicht gefallen: „Kein Taxi nach Belet Uen.“ Es seien, trösten sie, doch nur „ten miles“ zu Fuß.

Ulrich Löhr war früher bei den „ABCisten“ mit chemischen Waffen vertraut. Im Einsatzort Belet Uen wird er Wasser aus dem einzigen Fluß in der Nähe gewinnen und es immer wieder als Brauchwasser aufbereiten. Wasser heißt biyo. Verwaltet müssen zur „logistischen Unterstützung“ außerdem Vorräte für 30 Tage, also 450.000 Liter trinkfähiges Wasser, 500.000 Liter Treibstoff und 120.000 Verpflegungsrationen. Angst hat Löhr nur vor Minen, nicht vor der Langeweile. Die Wassertruppe wird rund um die Uhr in drei Schichten an sechs Anlagen im Einsatz sein, auch außerhalb des sicheren Lagers. Er ist „Soldat aus Überzeugung seit 1986“.

Im Bus ist es inzwischen fast so heiß wie in Somalia. Zwischen Hügeln mit Johanniskraut, Disteln und Wegwarte geht es zurück nach Bonnland. In der Pressemappe weist das veranstaltende III. Korps ausdrücklich auf die Natur des Übungsplatzes hin. Da gibt es Orchideen, Fledermäuse, in Panzerspuren laichende Amphibien, Mondhornkäfer und Schwalbenschwanz. Und frischangepflanzte Streuobstwiesen auch. Die Szenerie wechselt sodann sozusagen von Hollywood zu „Dritte Heimat“ in Hammelburg. Bonnland liegt als malerisches, deutsches Dorf mitten auf dem Truppenübungsplatz, samt Kirche, Schule und Bauernhöfen.

Geräumt wurde das einst authentische Dorf schon zu Wehrmachtszeiten. Einmal im Jahr werden die ehemaligen Bewohner von der Bundeswehr hierher zum Feiern unter die zerschossenen Dächer eingeladen. Sonst wird hier Häuserkampf geübt. Jetzt stehen auf dem Dorfplatz improvisierte Zelte aus Fallschirmen, hocken Somalis auf dem Boden, schwelt ein kleines Feuer. Und ausgerechnet hier hat dann natürlich ein Wagenkonvoi eine Panne. Der unvermeidliche Älteste verhandelt wie immer. Die Kleiderordnung besteht auch hier auf Sackleinen, weißen Baumwollbahnen und jenen merkwürdig blaukarierten Röcken. Die sind, verrät ein Offizier, aus den Tischtüchern der ehemaligen Nationalen Volksarmee geschneidert. So sehen sie auch aus.

Es sei, kritisiert ein Ausbilder milde, „unzweckmäßig“ gewesen, daß „alle Mann abgesessen“ seien. Ein Bewaffneter hätte auf jedem Wagen bleiben sollen. Und dann begegnen wir einem echten Einheimischen. Der fährt mit dem Moped durch die 40 Quadratkilometer Biotop und ist ganz zünftig in Loden und Jägerhut gewandet. Nachdenkliche Stimmen gibt es auch, ein wenig Furcht vor den „Tagen, die uns lang erscheinen werden“. Ein Unterhaltungsprogramm ist „noch nicht so richtig durchdacht“. Erholungsausflüge in Nachbarländer könnten internationale Verwicklungen verursachen. Und dann ist da die „Angst vor Aids“.

Auch die letzte Station ist gar nicht mehr so komisch. Keine Einheimischen diesmal, sondern auf steinigem, staubigem Gelände werden Minen gesucht. Die Anordnungen sind vielfältig, die Suche dem Ernstfall entsprechend langwierig. Geräumt werden soll nur auf den eigenen Verkehrswegen. Oder wenn ein Soldat aus Neugier, weil da eine Kiste, ein Wassertank steht oder er meint, schamhaft zum Pinkeln verschwinden zu müssen, in ein Minenfeld läuft. Hauptmann Klaus Niessen ist da streng: „Gepinkelt wird nur auf der Hauptstraße!“ Über eine Millionen Minen liegen noch im Land. Und die stammen von allen Produzenten rund um den Erdball, von Japan bis zur ehemaligen UdSSR. Niessen hat seinen eigenen Soldatenwitz dazu: „Minen aller Länder, vereinigt euch.“

Strenger ist die Kritik der schon in anderen Ländern eingesetzten Bundeswehrsoldaten. Sie sind in den Versorgungslagern in Kurdistan gewesen, haben Transporteinsätze nach Bosnien geflogen und fühlen sich deshalb als „alte Hasen“. Einer findet das hier „ganz crazy, sehr spaßig, so als Spiel“. Vom wirklichen Elend verzweifelter Menschen, von Hunger und realem Tod, vom unausweichlichen Lagerkoller könne er dabei aber, trotz der von Psychologen begleiteten und mit internationaler Beratung entwickelten Rollenspiele, nichts entdecken. Es sei „gut gemeint, doch auch sehr hilflos“. Er ist sich sicher: „Es wird irgendwann auch tote Deutsche geben in Somalia.“ Außerdem sei es seiner Meinung nach ein Fehler, ausgerechnet Fallschirmjäger zu Friedensengeln umzuschulen. Das sei einfach ein zu großer Widerspruch der Ausbildungen und Aufträge, der innerlich in so kurzer Zeit gar nicht verkraftet werden könne. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, der die Übungen ebenfalls inspizierte, schaut zur Pressekonferenz stolz auf seine Truppe. Er umarmt die Männer mit dem vorerst provisorischen blauen Stoffbezug auf den Helmen ebenso wie Somalia-Dorfälteste und Übungs-Frauen. Der Musikzug schmettert den Marsch „Jugend ist Zukunft“ und meint das bestimmt nicht persönlich. Zum Mittagessen gibt es heißen Bohneneintopf und anschließend eine Pressekonferenz.

Währenddessen flattert ein Schmetterling durch den Raum, als habe ihn die Presseabteilung geradezu bestellt. Der nette Presseoffizier Mertens organisiert eine Extra-Fahrt zum nächsten größeren Bahnhof, weil die Taxilage in Hammelburg „sehr schwierig“ sei. Das war der Unterzeichnenden bereits vom Vorabend bekannt: Nachtmarsch mit leichtem Gepäck durch Krisengebiet deutscher Wald, Ziel Hotelzimmer.

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