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Ein neuer Begriff von Jazz

■ Wochenende beim Jazzport mit Caetano Veloso und dreimal Jazz-Nachhilfe

Caetano Veloso ist ein Held. Die gesamte brasilianische Kolonie Hamburgs reckt ihm die Hände entgegen, begrüßt ihn mit Kreischen. Veloso ist ein Heiliger. Auf der Bühne im Jazzport-Zelt steht der 50jährige im engen weißen Netzhemd, den aristokratischen Blick in die Ferne gerichtet. Mit großer Geste und großer Stimme interpretiert er seine Hymnen: brasilianische Música popular - gegen ein Cello, über einer sechsköpfigen Rhythmusgruppe, allein mit seiner Gitarre. Keine Volksmusik, sondern Kunstlieder, die in Velosos Heimat so populär sein sollen wie hierzulande nur der belanglose Schlager. Im Innersten bleibt seine Musik Bossa Nova, der immer etwas Beiläufiges anhaftet. Die New Wave der 60er Jahre aber hat Veloso fortentwickelt, mit dem Wissen um Rockmusik, Freejazz und europäische Tradition hat er eine klassiche wie zeitgemäße brasilianischen Kunstgattung geschaffen. Dem Hamburger Publikum, das die Texte nicht verstehen konnte, blieb, eine Ahnung vom ethnischen und politischen Hintergrund dieser Kultur zu erhaschen. Ein anstrengendes Unterfangen. Veloso beklagte sich denn auch über die mangelnde Aufmerksamkeit eines großen Teils seiner Zuhörer, dem es offenbar genügte, daß die Musiker gelegentlich spektakulär loslegten. Eingängigeres bot die Vorgruppe: Der latinophile Eimsbüttler Gitarrist André Krikula und seine (teilweise brasilianische) Band spielten routiniert den bekannten Rock-Jazz-Samba-Verschnitt. Peinlich, wie Krikula sich mit brasilianischer Moderation an die Kultur des Tropicalismo anzubiedern versuchte, unverzeihlich seine englischsprachigen Verse: „I just want you to be free, I want you to be so near to me.“ Oder so ähnlich. mib

Am selben Tag, aber in der Nacht zuvor erteilten drei Bands unter Dreißigjähriger dem Jazz einige Rheumaspritzen. In der Late-Show, die nach Mitternacht begann und bis kurz nach fünf Uhr Morgens dauerte, ermahnten US3, Jazzmatazz und Jamiroquai das Überthema des Festivals mit dem Feuer von Anfangsjahren. So, wie dieser Abend verlief, könnten auch die echten Zeiten des Jazz einmal gewesen sein. Junges, schwitzendes und begeistert tanzendes Volk, Lust und Experimentiergeist unter einem Firmament. Gerade im Anschluß zum freitagabendlichen Konzert von Abdullah Ibrahim, der sein langweiliges Publikum mit Kondensmilch aus dem Hause Labber-Jazz zu Begeisterungsstürmen hochpeitschte, konnte die Medizin ihre volle Wirkung entfalten.

US3, die alte Jazz-Takes aus dem Blue-Note-Katalog zu Schleifen legen und darüber mit Ragga- und HipHop-Märchen zur Party zwingen, eröffneten den Abend in acht Sekunden von Null auf Hundert. Eine Stunde dyonisches Aneinanderklatschen in dem restlos überfüllten Zelt allein hätten sich schon gelohnt. Der vorgebliche Zenit des Abends, Gurus Jazzmatazz, dagegen krankte an Unvereinbarkeiten. Konnte es auf dem Album noch gelingen, Jazz-Artisten zu HipHop-Fellows zu verwandeln, so blieben Vibraphonist Roy Ayers und Trompeter Donald Byrd in einer richtigen Hei-Hoh-Hip-Hop-Show reines Zierat. Guru, Jazzy Nice und DC Lee hätten auch mit jeder anderen x-beliebigen Besetzung ihren Stiefel durchgezogen. Ob das coole Schmunzeln des bemützten Byrd wirklich die reine Freude ausdrückte?

Abjagt schließlich mit Jamiroquai, deren Soul-Funk auch die müdesten Glieder wieder entbleiten. Auch wenn diese Band in ihrer geschmackssicheren Adaption alter Funk-Größen nicht übermäßig orginell ist, so ist sie dennoch eine der besten Live-Bands, die seit langer Zeit die Musikschlafstadt Hamburg aufgesucht haben. Die neunköpfige Truppe um Sänger J.K. verschiebt Sly Stone, James Brown und Stevie Wonder zu einer hitzigen Debatte über Liebe und Umweltverschmutzen vor der Jahrtausendwende und wickelt dabei ein amüsier-scharfes Publikum mit Charme und ohne Geniedel ein. Beste Party seit langem.

tlb

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