Nachschlag

■ Literatur der Copacabana

Unter dem Titel „Neuordnung der Beziehungen“ lasen am Freitag im Haus der Kulturen der Welt die Autorinnen Sonia Coutinhos aus Rio de Janeiro/Brasilien und Lorna Goodison aus Kingston/Jamaica. Der Zuhörer bekam den Eindruck, daß auch an der Copacabana Beziehungskisten nichts an Neuartigkeit gewinnen. Auch unter Palmen und Sonne droht Langeweile und Frustration, so könnte die Botschaft von Sonia Coutinhos Kurzgeschichten – in der S.Fischer Anthologie „Betonblumen. Aus fernen Großstädten“ sind einige übersetzt – lauten. Trotz vieler Details aus dem Leben einsamer Mittelstandsfrauen blieb ein nachhaltiger Eindruck aus. Lag es am Mißverständnis, verfehltes Leben auch entsprechend dröge literarisch abschildern zu müssen, oder war Judith Kuckarts nicht gerade mitreißende Vortragsart, die mit dem „schlafenden Mann“ in einer Geschichte eigentümlich korrespondierte, der Grund für das Mißbehagen? Im Grunde genommen nichts Schlimmes: dahingeschriebene Dutzendware mit ambitionierter Attitüde scheint, oh Wunder, in der Tat also nicht nur ein rein deutsches Dilemma zu sein.

Anders dagegen die Malerin, Lyrikerin und Erzählerin Lorna Goodison aus Jamaica, deren Kurzgeschichten in einer Auswahl im dipa-Verlag in Frankfurt erscheinen. Ihre Geschichten, von Töchtern erzählend, die ihre Mütter hassen, um dann selbst Mütter zu werden, waren leichter und lebendiger; kein Wunder bei einer Autorin, die sich selbst als „Nomadin“ bezeichnet. Ihr Gedicht mit dem Titel „Wie man zum Tiger wird“ schien von Rilke und William Blake inspiriert und war doch eingebettet in einen karibischen Kosmos voll starker Bilder und sprudelnder Beredsamkeit, die einen nicht ermüdete. Hans Christoph Buchs Vortragsweise mag ein übriges dazu beigetragen haben, doch mußte auch er die ZuhörerInnen am Schluß erst mehrmals zu Nachfragen und Diskussionen ermutigen.

Alles in allem: ein interessanter Abend zur Horizonterweiterung, ein literarisches must allerdings nicht unbedingt. Insgesamt aber zeigten diese dritten Internationalen Literaturtage erneut den Reichtum nichteuropäischer Kulturen und die Chance einer Verknüpfung – und das nicht nur in den obligatorischen Feuilleton-Auslassungen, wenn ein Nobelpreis an einen „Dritte-Welt- Autor“ fällt.

Deutschland, das nie nennenswerte Kolonien besaß, dafür aber über ein unerschöpfliches Reservoir an Herrenmenschen- Gesinnungen verfügte, könnte jetzt das verspätet nachholen, was für postkolonialistische Metropolen wie Paris oder London längst selbstverständlich ist – die Offenheit und die Neugier gegenüber einer Kunst, die von dort kommt, wo Eurozentristen noch immer bloß „die Peripherie“ vermuten. Marko Martin