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Trauer über Tote und Verletzte in Sivas

■ 4.500 Leute demonstrierten gestern in Kreuzberg anläßlich des Massakers

Das Massaker in Anatolien, bei dem vor anderthalb Wochen 36 Menschen starben und über 150 Menschen verletzt wurden, führte auch in Berlin zu Trauer. Gestern demonstrierten trotz strömenden Regens und Urlaubszeit in Neukölln und Kreuzberg 4.500 Leute (Polizeiangabe) – überwiegend türkische Berliner.

Die Demonstration begann gegen 14 Uhr am Hermannplatz und endete zwei Stunden später mit einer Abschlußkundgebung am Oranienplatz. Die Teilnehmer zählten meist zu der alevitischen Glaubens- und Kulturgemeinschaft oder waren dem linksdemokratischen Spektrum zuzurechnen. Sie skandierten „Wir werden nicht schweigen“ und „Neofaschisten in Deutschland, islamische Fundamentalisten in der Türkei“.

Die Stimmung wurde aggressiv, als sich der Zug der Mevlana-Moschee am Kottbusser Tor näherte. Bei dem Massaker im anatolischen Sivas hatten islamische Fundamentalisten ein Hotel angezündet, in dem sich Dichter und Sänger befanden, die der ethnisch-religiösen Minderheit der Aleviten angehörten. Vor der Mevlana-Moschee am Kottbusser Tor riefen Demonstranten „Mullahs nach Iran“ und „Verdammt sie“. Besucher der sunnitischen Moschee waren nicht zu sehen, zu Auseinandersetzungen kam es nicht. Die Demonstration lief bis zur Abschlußkundgebung am Oranienplatz friedlich ab.

Dies ist nicht die einzige Veranstaltung, die auf Initiative des „Kulturzentrums Anatolischer Aleviten“ seit dem Massaker von Sivas durchgeführt wurde. Wer in den letzten Tagen am Kottbusser Tor in Kreuzberg gewesen ist, dem werden sicherlich das aufgeschlagene Zelt, die Stände sowie die brennenden Kerzen und die niedergelegten Trauerkränze nicht entgangen sein. Seit Sonntag letzter Woche befanden sich hier fünfzehn Menschen im Hungerstreik, der gestern jedoch abgebrochen wurde.

Was war bei dem Massaker am 2. Juli in Sivas passiert? Bei den Feierlichkeiten zu Ehren des vor 400 Jahren lebenden anatolisch- alevitischen Volkssängers Pir Sultan Abdal, der als Symbolfigur für Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Willkürherrschaft gilt, kam es vor anderthalb Wochen zu dem Massaker. Die Opfer selbst waren meist alevitischer Herkunft. Nach dem Freitagsgebet hatte ein aufgebrachter Mob das Hotel stundenlang mit Steinen beworfen, gestürmt und dann angezündet. In dem Hotel hatte sich neben den anatolischen Dichtern und Sängern auch der türkische Schriftsteller Aziz Nesin befunden, der die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie in einer türkischen Zeitung veröffentlicht hatte. Die türkische Polizei ließ sich acht Stunden lang nicht bei den Ausschreitungen blicken. Halil Can

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