Keine Gefahr für Milošević-Regime

Haftverschonung für Drašković stärkt die kleinen antinationalen Parteien  ■ Aus Belgrad Alexandar Ćirić

Vuk Drašković, der Vorsitzende der größten oppositionellen Partei Serbiens, ist nach vierzig Tagen endlich frei. Er war in der Nacht zum 2. Juni nach kurzen heftigen Demonstrationen vor dem Gebäude des jugoslawischen Parlaments verhaftet worden. Mit angelegten Handschellen wurden Drašković und Ehefrau Danica von der Polizei zudem derart zusammengeschlagen, daß bleibende Folgen nach wie vor nicht auszuschließen sind.

In seiner Überzeugung, nun sei endlich die Stunde der Abrechnung mit Vuk und der SPO gekommen, machte Miloševićs Regime allerdings einige Fehler. Den ersten Bericht über den Gesundheitszustand des Ehepaares Drašković gab ein anonymes Ärztekonsilium der Gefängnisklinik ab, dessen fachliche Unzulänglichkeiten ein sicheres Zeichen dafür waren, daß der wahre Autor Miloševićs Informationsministerium war. Die Anwälte sprachen von einem katastrophalen Gesundheitszustand. Die Ignoranz, mit der die Funktionäre der Milošević-Regierung jede Verantwortung ablehnten, indem sie sich auf die „Unabhängigkeit der Gerichte vor dem Gesetz“ beriefen, war Öl auf das Feuer der Drašković-Unterstützer. Der Verdacht, es könne sich um den Versuch eines staatlichen Mordes handeln, wurde durch die Verzögerungspolitik der Gefängnisverwaltung verstärkt, die sich weigerte, Danica und Vuk zur Behandlung in die Belgrader medizinische Fakultät zu verlegen.

Unter anderem aufgrund dieser Fehler gelang es dem Gefangenen, die serbische Opposition zu einen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die „Begnadigung“ Draškovićs erst nach dessen klarem Entschluß erfolgte, in einen Hungerstreik bis zum Tod zu treten. Für das Regime und die größeren oppositionellen Parteien völlig unerwartet kam die stärkste Unterstützung für Danica und Vuk Drašković von seiten der „kleinen“, antinationalistisch orientierten Parteien. Die Vorsitzende des „Bürgerformus“, Vesna Pešić, stand als einzige Oppositionelle schon bei den Demonstrationen am 1. Juli an Vuks Seite. Zusammen mit den Anhängern der SPO, die in Belgrad und der Provinz trotz Angst und Drohungen von seiten der Behörden ruhige Proteste und öffentliche Hungerstreiks organisierten, reagierten zuerst die kleinsten Parteien und eröffneten die politische Aktion für die Befreiung von Danica und Vuk Drašković.

Die „Befreiung“ Draškovićs durch Milošević, de facto eine Haftverschonung bis zum Gerichtstermin, ist allerdings eine Niederlage für Milošević. Und noch weniger ist die Entlassung ein Siegeszeichen für diejenigen, die vierzig Tage lang für Vuk gekämpft haben, oder gar für die internationale Öffentlichkeit. Im Gegenteil, der nunmehr „freie“ Drašković hat für Miloševićs Publikum und seine Medien einige nützliche Effekte. Die Menschen in der serbischen Provinz, das staatlich kontrollierte Fernsehen, dessen Manipulationen immer mehr jede Orwellsche Phantasie übertreffen, beachteten die Aktionen der Drašković-Unterstützer ohnehin kaum.

Für das politische Leben in Serbien bedeutet die Tatsache, daß Drašković frei ist, vorrangig den Beginn einer Abrechnung innerhalb der Opposition. Dies wird vermutlich in den Spitzen der SPO beginnen und – falls eine Prognose überhaupt möglich ist – mit der Neudefinition des Oppositionsbegriffes unter einem Regime wie dem Miloševićs enden. „Große“, lockere und mit kleinen, politisch völlig unbedeutenden Zugeständnissen der Machthaber zufriedene Parteien und Koalitionen wie die „Demokratische Bewegung Serbiens“ (DEPOS) haben keine Zukunft. Wie immer seine weitere politische Zukunft aussehen wird, Vuk Drašković ist als der einzige ernstzunehmende Gegner Miloševićs bestätigt worden und hat seine charismatische Aura nur noch verstärkt.