Odyssee ins gelobte Land

■ Chinesische Flüchtlinge hoffen immer noch, in den USA aufgenommen zu werden

Washington (taz) – Den Passagieren der Sing Li erschienen die Schiffe der US-Küstenwache wie das langersehnte Begrüßungskomitee aus dem gelobten Land. Über zwei Monate lang hatten die rund 1000 chinesischen Emigranten auf den bedrohlich marode aussehenden Frachtern zugebracht. Als sie letzten Dienstag erstmals amerikanische Uniformen erblickten, improvisierten sie eine Party an Deck und wähnten sich am Ziel ihrer Odyssee: Amerika.

Seitdem ist eine Woche vergangen, die Frachter zusammen mit zwei anderen Frachtern immer noch rund 120 Kilometer südwestlich von San Diego von der US-Küstenwache umringt – und die Passagiere glauben immer noch, daß ihnen die Einreise in der USA kurz bevorsteht. Noch ahnt keiner, daß die Küstenwache sie auf internationalen Gewässern faktisch in Haft genommen hat, während US- Diplomaten alles versuchen, um die Immigranten nach Mexiko abzudrängen. Im Gegensatz zu den USA hätten ihre Asylanträge dort kaum eine Chance; die Abschiebung zurück nach China wäre so gut wie sicher.

Das Drama vor der mexikanischen Pazifikküste ist erster Höhepunkt der neuen US-Politik, die vor allem zum Ziel hat, mit öffentlichkeitswirksamen Manövern den Schmuggel chinesischer Einwanderer zu unterbinden, von denen nach Schätzungen der Einwanderungsbehörde jährlich rund 100.000 einreisen. Aufgabe der Küstenwache ist, Schiffe mit Einwanderern abzufangen, bevor sie die Hoheitsgewässer der USA erreichen, und sie ins Herkunftsland zurückzuschicken. Diese Praxis wird zwar vom Hohen Flüchtlingskommissariat der UNO als Bruch internationaler Abkommen scharf kritisiert, doch dessen Meinung hat in Washington wie auch in anderen Hauptstädten wenig Gewicht. Der Oberste Gerichtshof hat die Clintonsche Flüchtlingspolitik in einer Entscheidung vom 21. Juni für verfassungskonform erklärt.

Aus Sicht der Clinton-Administration stellt sich der Fall chinesischer Einwanderer problematischer dar. Sie abzufangen und zurückzuschieben bedeutet, die maroden Frachter der Schlepperorganisationen, die schon die Überfahrt von China Richtung Amerika kaum überstanden haben, erneut auf eine Seereise von mehreren tausend Meilen zu schicken und die Passagiere dem Risiko des Schiffbruchs auszusetzen. Um dies zu vermeiden, wurde nun Nachbar Mexiko aufgefordert, sich als Pufferzone zur Verfügung zu stellen. Noch letzte Woche lehnte das mexikanische Außenministerium den US-Vorschlag ab, wonach die Küstenwache die Immigrantenschiffe auf mexikanische Hoheitsgewässer abdrängen soll, wo die Einwanderer dann nach mexikanischem Asylrecht im Schnellverfahren angehört und abgeschoben werden sollen. Doch nach offensichtlich eindringlichen Gesprächen des US-Botschafters John Negroponte mit Regierungsvertretern in Mexiko City lenkte das Außenministerium ein.

Sollte die „Sing Li“ und die beiden anderen Frachtschiffe „freiwillig“ auf mexikanische Hoheitsgewässer kommen, so ein Regierungssprecher am Samstag, würden die Behörden seines Landes unverzüglich das übliche Abschiebeverfahren gegen illegale Einwanderer einleiten. Die USA haben inzwischen angeboten, alle Unkosten für die Rückführung zu begleichen. Strittig ist immer noch, wie die drei Schiffe von internationalen auf mexikanische Hoheitsgewässer kommen sollen. Mexiko befürchtet offensichtlich einen Präzedenzfall, falls es der US-Küstenwache erlaubt, die Schiffe auf mexikanisches Territorium abzudrängen. Ob man sich in Mexiko- City darauf einläßt, für die USA die Rolle der Pufferzone gegen illegale Einwanderung zu übernehmen wird nicht zuletzt davon abhängen, wieviel finanzielle Anreize Washington bietet.