Noble Villen und Container

„Fremdenfeindliche Hetze“ in feinem Gewand sorgt in Bochums edler Wohnlage für Aufregung  ■ Von Walter Jakobs

Deutschlehrer Horst H. traute seinen Augen nicht. Den Mann, der da in der Bochumer Lokalausgabe der WAZ als Stimmungsmacher gegen Asylbewerber genannt wurde, kannte er von der Ruhr-Universität nur zu gut: Harro Müller-Michaels, ein wohlbeleumdeter, beliebter Germanistikprofessor. Dieser Mann, in dessen Vorlesungen und Seminare die linken StudentInnen seit den 70er Jahren gerade deshalb strömten, weil er die besten Traditionen der Aufklärung pflegte, ein „verkappter Rassist“? Wie gern hätte Horst H. an ein Mißverständnis geglaubt, doch da war ja dieser Brief an die $örtlichen Politiker. Aus „großer Sorge um die Bevölkerungsstruktur und die Lebensbedingungen“ im Bochumer Stadtteil Stiepel wandten sich darin die Anwohner der Unterfeldstraße gegen die Errichtung eines Containerdorfs für Asylbewerber in ihrer Nachbarschaft. Man habe den Eindruck, hieß es in dem standardisierten, in Ich-Form verfaßten Brief, daß die Politiker weniger an der Interessenvertretung der Anwohner interessiert seien „als vielmehr an einem abstrakten Recht für Flüchtlinge aus Südosteuropa“. Es bestünden nicht nur an der Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens „begründete Zweifel“, sondern das Projekt verschlinge auch „Unsummen an Geld, über das die Stadt gar nicht verfügt“. Viel besser sei es doch, Asylbewerber in freigewordenen Wohnungen, „auch in Stiepel“, unterzubringen. Die Diktion des Briefes läßt indes keinen Zweifel daran zu, daß es sich bei diesen Einwänden um taktische Hilfsargumente zur Erreichung des einen Zieles handelte: der Abwehr von Flüchtlingen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Wörtlich schrieben die wohlanständigen Bürger: „Was hat man zum Schutz der Bevölkerung und für Informationen an die Neubürger geplant? Wenn Zwischenfälle oder gar Unfälle eintreten werden, haben wir Sie rechtzeitig gewarnt. Wir werden Sie für jeden einzelnen Fall haftbar machen.“

Kann sich jemand bei einer solchen Wortwahl darüber beklagen, der Fremdenfeindlichkeit gescholten zu werden? „Ja“, sagt Professor Müller-Michaels. Der nicht für die Öffentlichkeit gedachte Brief sei zwar „starker Tobak“ gewesen, aber man habe gehofft, auf diesem Wege die Politik zu einem Kompromiß über die Größe des Containerdorfes zu bewegen: „Die Mehrheit in der Straße hätte nichts dagegen, wenn dort eine Unterkunft für 50 bis 60 Asylbewerber statt – wie geplant – für 250 entstünde.“ In dem Protestbrief sucht man ein entsprechendes Angebot indes vergebens. Dort wird lediglich auf fernab von den eigenen Bungalows liegende Räumlichkeiten verwiesen. Daß man ihn in die „falsche Ecke“ zu drängen suche, belege nicht zuletzt jener Satz, den er dem Standardbrief am Ende persönlich hinzugefügt habe. Bei einem Kompromiß, so steht da zu lesen, würde „ich für meinen Teil dann an der Lösung der Probleme, die schon durch 50 Asylbewerber in Stiepel entstehen werden, mitwirken wollen“. Das sei ein „Angebot für konkrete Hilfe und keine Hetze“ gewesen.

Insgesamt, so protestierte der Fachschaftsrat der Germanistik, erweckten die Äußerungen des Professors „den Eindruck, daß Sie ihren Wohlstandsegoismus deutlich über die Hilfsbereitschaft für Verfolgte stellen“. Für einige Sätze in dem Protestschreiben hat sich Müller-Michaels, auf dessen Garagentor Unbekannte „Rassist“ sprühten, zwischenzeitlich entschuldigt. Daß er deren Wirkung nicht erfaßt haben könnte, nehmen ihm seine Kritiker nicht ab. „Bei einem Germanistikprofessor muß man andere Maßstäbe anlegen. Das ist doch ein Mensch, der um die Macht des Wortes weiß“, sagt Heide Bornemann. Die 51jährige Stiepeler Hausfrau vertritt die SPD in der Bezirksvertretung. Schon seit längerem engagiert sie sich für den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in ihrem edlen Stadtteil, denn „die jetzige Verteilung der Flüchtlinge auf dem Bochumer Stadtgebiet kann nicht angehen“. Wie auf einem „wundersamen Halbkreis“ seien die Flüchtlingsheime vornehmlich in den Arbeitervierteln des Bochumer Nordens angesiedelt. Stiepel sei „bisher kaum mit Ausländern in Berührung gekommen“.

Das soll sich ändern. Nach vielen Verzögerungen zeigt sich die sozialdemokratische Stadtspitze entschlossen, das Containerdorf bis zum Jahresende umzusetzen. Selbst die Bochumer Grünen, die die Unterbringung von Flüchtlingen in solchen Provisorien „im Prinzip“ ablehnen, halten angesichts der anhaltenden Belegung von Turnhallen „das geplante Containerdorf für das vertretbare kleinere Übel“. Letztlich werden die „grundliberalen Bürger“ (Müller-Michaels) der Stiepeler Unterfeldstraße die Entscheidung wohl schlucken. Schon wird erwogen, es den politischen Parteien bei der nächsten Kommunalwahl mit einer eigenen Liste mal richtig zu zeigen. Vorher muß Müller- Michaels aber erst mal seine StudentInnen überzeugen. Wenn der sich von dem Protestbrief „nicht klar distanziert“, droht Stefan Kreutzer vom AStA der Ruhr-Uni, „werden wir im nächsten Semester zum Boykott seiner Veranstaltungen aufrufen“.