Gnadenlos und voller Willkür wird gefoltert

Der israelische Geheimdienst macht sich in den besetzten Gebieten schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig  ■ Von Ludwig Watzal

Menschenrechtsorganisationen, wie B'Tselem oder das „Palästinensische Informationszentrum für Menschenrechte“ (PHRIC) und das „Öffentliche Komitee gegen Folter in Israel“ (PCATI), klagen die israelische Regierung seit Jahren an, Palästinenser in den Gefängnissen foltern zu lassen. Als ein solcher Vorwurf zum ersten Mal erhärtet werden konnte, ging es gleichwohl nicht um einen Palästinenser, sondern um einen israelischen Offizier, Izzat Nafsu. Und die Enthüllung hatte andere Folgen, als man erwarten sollte.

Nafsu war nach dem Sechs-Tage-Krieg Anfang der siebziger Jahre unter Spionage-Verdacht verhaftet worden und 1980 zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Er warf dem Geheimdienst Shin Bet vor, sein Geständnis durch Folter erpreßt zu haben. Bewegung kam erst 1986 in den Fall, als Nafsu durch einen Zufall seinen Peiniger identifizieren konnte. Die Regierung setzte im Mai 1987 eine Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts, Mosche Landau, ein, um die Verhörmethoden ihres Geheimdienstes untersuchen zu lassen. Im Oktober 1987 legte die Kommission ihren Bericht vor: Seit 1971 habe der Geheimdienst Geständnisse durch Folter erzwungen und sie vor Gericht als freiwillige Aussagen präsentiert.

Doch die Kommission empfahl nicht etwa eine Abstellung dieser Praktiken. Sie riet, die Beteiligten nicht zu bestrafen, da sie nur „ihre nationale Pflicht“ getan hätten. Außerdem entband sie den Geheimdienst von dem Zwang zu lügen: Denn sie empfahl der Regierung, die Ausübung von „gewaltfreiem psychischem Druck“ auf Gefangene zu erlauben.

Die Praxis in den Gefängnissen der besetzten Gebiete läßt wenig Zweifel daran, wie die Geheimdienstleute den Landau-Bericht in der Praxis verstehen. Bei Verhören palästinensischer Gefangener sind neben Verbalinjurien, Drohungen mit Verletzungen und Demütigungen vor allem Schlaf- und Essensentzug üblich, Schläge mit einem Stock auf alle Körperteile, langes Stehen mit gefesselten Händen und Fußgelenken und einem übelriechenden Sack über dem Kopf. Häufig werden die Gefangenen auch gefesselt in sogenannte „Closets“ oder „Refrigerators“ gesteckt – das sind winzige Räume, in denen man weder stehen noch liegen kann. Bei der „Bananenfesselung“ wird der Körper des Gefangenen nach hinten gebogen und die Hände werden rückwärts an die Füße gefesselt. Beim „Shabakh“ werden den Gefangenen die erhobenen Arme zu einer„Röhre“ zusammengebunden. Dann werden sie mit den Händen an der Decke festgebunden, so daß ihre Fußspitzen gerade noch den Boden berühren. In diesen Stellungen werden sie mit Knüppeln geschlagen. Alle diese Arten der Mißhandlung haben Gefangene ihren Anwälten immer wieder beschrieben und dazu eidesstattliche Erklärungen abgegeben.

Menschenrechtsorganisationen haben oft über die Mißhandlung in israelischen Gefängnissen berichtet. Erst kürzlich hat die Organisation „Israelisch-Palästinensische Ärzte für Menschenrechte“ eine Skizze des sogenannten „Schlachthauses“ im Zentralgefängnis von Gaza veröffentlicht. PCATI versuchte, eine Veröffentlichung des geheimen Teils des Landau-Berichtes zu erreichen. In dem nachfolgenden Rechtsstreit erklärte der Chef des israelischen Geheimdienstes, seit Beginn der Intifada, des palästinensischen Aufstandes gegen die Besatzung, sei die Anwendung „moderater physischer Gewalt“ nötiger denn je.

Seit dem Beginn der Intifada im Dezember 1987 hat PHRIC 32 Fälle dokumentiert, in denen Palästinenser während der Haft gestorben sind. In 14 dieser Fälle trat der Tod während oder kurz nach Verhören durch den Geheimdienst ein. Nach Angaben des Vorsitzenden der „Israelisch-Palästinensischen Ärzte für Menschenrechte“, Neve Gordon, werden schätzungsweise 25 bis 50 Prozent der rund 10.000 Palästinenser, die pro Jahr in die israelischen Gefängnisse kommen, während der Verhöre Opfer von Mißhandlungen.

Jüngstes Todesopfer wurde der 22jährige Palästinenser Aiman Said Hassan Nasser aus Gaza. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des PHRIC, PCATI und des „Gaza-Zentrum für Recht und Gesetz“ am 8. April 1993 stellten der dänische Pathologe Jorgan Dalgaard und der Chefpathologe des israelischen gerichtsmedizinischen Instituts in Abu Kebir, Jehuda Hiss, fest, daß der Tod durch schwere Mißhandlungen eingetreten sei. Eine genauere Einschätzung könnten sie nicht geben, da der Totenschein, der Polizeibericht und der Bericht des Gefängnisarztes nicht freigegeben worden seien.

Wie der israelische Geheimdienst mit Gefangenen umgeht, zeigt auch die Erfahrung von Maher Mahlouf, der von der israelischen Rechtsanwältin Lea Tsemel verteidigt wurde. Nach eigenen Aussagen wurde Mahlouf vom Tag seiner Verhaftung am 29. Mai 1992 bis zum ersten Gerichtstermin zwei Wochen später nicht gestattet, zu schlafen. Er sei die ganze Zeit mit den Füßen an einen Stuhl und mit den Händen an der Wand festgebunden gewesen. Die vernehmenden Beamten hätten ihn auf alle Körperteile geschlagen und ihm Tränengas direkt in die Augen gesprüht. Einer seiner Peiniger namens „Chaim“ habe ihm gedroht, ihn zu erwürgen.

Der Geheimdienst zeigte Mahlouf anschließend in Ramallah wegen Widerstand gegen die Beamten an. Mahlouf erstattete Gegenanzeige wegen Körperverletzung. Die Geheimdienstanzeige wurde bei der zuständigen Behörde akzeptiert, die von Mahlouf nicht. Gut ein Jahr nach seiner Inhaftierung, am 9. Juli 1993, wurde Mahlouf ohne Gerichtsverfahren und ohne Angabe von Gründen für seine Verhaftung freigelassen. Dies ist ein wenig spektakulärer Fall, einer von vielen, der noch etwas anderes zeigt. Die israelischen Militärbehörden regieren die besetzten Gebiete nicht nur gnadenlos, sondern auch vollkommen willkürlich.

Am Ende der Pressekonferenz zum Tod von Aiman Said Hassan Nasser gab der dänische Pathologe Dalgaard eine „persönliche Erklärung“ ab: „Als dänischer Staatsbürger habe ich große Sympathie für die Juden und Verständnis für ihre politischen Konflikte mit den Palästinensern in diesem Land. Ich habe aber kein Verständnis für die Folter von Palästinensern. Ich hoffe, daß die freie Presse und die öffentliche Meinung in Israel in der Lage sein werden, diese Praktiken zu beenden.“ Ein erster Schritt in diese Richtung gelang den palästinensischen und israelischen Menschenrechtsorganisationen mit ihrer Konferenz gegen Folter Anfang Juni (Siehe taz vom 3.6.). Die israelische Ärztekammer droht jetzt allen Mitgliedern mit Ausschluß, die sich als Gefängnisärzte bei der Mißhandlung von Häftlingen einspannen lassen.