Das „Eldorado der Bodenspekulanten“

■ Grundstückspreise in Berlin sind innerhalb der letzten zwei Jahre in die Höhe geschnellt, in Spitzenlagen um das Doppelte

Nichts hat sich seit der Vereinigung in Berlin so rasant entwickelt wie die Grundstückspreise. Während Wirtschaft und Infrastruktur nach wie vor darniederliegen, der Bausektor erste Anzeichen einer konjunkturellen Belebung zeigt, boomt der Grundstücksmarkt in einer Weise, die Bausenator Nagel von seiner Stadt als einem „Eldorado der Bodenspekulanten“ reden läßt. Wer zur Wende in Berlin ein Grundstück besaß, konnte sich eine goldene Nase verdienen.

In den Spitzenlagen der Stadt stiegen die Preise vom 31. 12. 1990 bis zum 31. 12. 1992 um mehr als das Doppelte. Während an der Gedächtniskirche vor zwei Jahren noch 12.000 Mark pro Quadratmeter gezahlt wurden, sind es nun bereits 28.000 Mark. Im Ostberliner Pendant, im Areal Friedrichstraße/ Unter den Linden kletterte der gleiche Ausgangswert auf immerhin 25.000 Mark. In der „wildesten Zeit der Spekulation, der Jahreswende 91/92“, so berichtete gestern der Leiter des Referats Grundstückswertermittlungen beim Bausenat, Dietrich Ribbert, wurde für ein Grundstück im Bezirk Charlottenburg gar 38.000 Mark pro Quadratmeter gezahlt.

Welche Sprünge der Preis des Bodens in Berlin vollzogen hat, kann man nun in der Bauverwaltung nachlesen. Dort wurde der neue „Atlas der Bodenrichtwerte“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Dem 450 Mark teuren Werk kann ein jeder entnehmen, was er in etwa zahlen müßte, wollte er ein Grundstück in der Stadt erwerben. Diese Durchschnittspreise hat der Gutachterausschuß zur Ermittlung der Grundstückswerte auf Basis sämtlicher Kauf- und Pachtverträge der letzten beiden Jahre ermittelt.

Werte einzelner Grundstücke können jedoch aufgrund von Sondertatbeständen wie Altlasten oder besondere Grundstücksschnitte erheblich von diesen Standardwerten abweichen. Deshalb wollte Nagel gestern auch nicht versprechen, daß der Senat bei dem beabsichtigten Grundstücksgeschäft mit Asia Brown Boveri (ABB) den am Potsdamer Platz ermittelten Bodenrichtwert von 12.000 Mark fordern werde. Der Bodenrichtwert wurde auch bei dem Geschäft mit Daimler Benz und Sony unterschritten.

Der Boom wirkte sich nicht nur in den Toplagen der City aus. Auch in den Randlagen, etwa am Oranienburger Tor oder am Rosa-Luxemburg-Platz wird der Quadratmeter immerhin mit 8.000 bis 10.000 Mark gehandelt. Zwischen beiden Plätzen, in der Spandauer Vorstadt, benennt der Atlas lediglich einen Preis von 1.600 Mark. Der Grund liegt in der Ausweisung dieses Areals als Wohngebiet. Doch auch bei Wohnlagen sind Preissteigerungen zwischen 30 und 50 Prozent zu vermelden, in der exklusivsten Lage, am Lietzensee, zahlt man mittlerweile 3.000 Mark, 1.000 Mark mehr als noch vor einem Jahr.

Die rasante Preisentwicklung ist in den letzten Monaten abgeflacht. Nagel beobachtet bei den Investoren einen zunehmenden „Realisierungsattentismus“, der vor allem dem zögerlichen Umzug der Bundesregierung nach Berlin geschuldet sei. Diese Stagnation, vorrangig in den hochwertigen Geschäftslagen, kann seiner Ansicht nach dazu führen, daß es bei einigen der spekulierenden Unternehmen zu Zusammenbrüchen kommt. Dieter Rulff