■ Ökolumne
: Ehrlich genial Von Thomas Worm

Einige unter uns erinnern sich noch an ihn: den Teppichhändler, der vor Jahren im Berliner Werbefernsehen treuherzigen Blickes versicherte: „Ährrrlische Preise!“ Heute redet alle Welt von ehrlichen Preisen, und zwar Preisen, die „die ökologische Wahrheit“ sagen. Von den Ministern Töpfer bis Rexrodt artikuliert sich die Einscht, daß die Preise doch endlich die Umweltkosten widerspiegeln sollten. Das Stichwort heißt CO2- oder Klimasteuer. Ernst Ulrich von Weizsäcker vom „Wuppertal Institut für Kima, Umwelt, Energie“ hat diese Idee bis hin zur ökologischen Steuerreform durchdacht. Und er hat sie populär gemacht. Weizsäkkers Konzept lautet verkürzt so: Man erhöhe die Preise für den ökologisch bedenklichen Verbrauch von Energie und Rohstoffen zum Beispiel jährlich um 5 Prozent. Und das über mehrere Jahrzehnte. Gleichzeitig gebe man die gewonnenen Steuereinnahmen an Bürger und Unternehmen zurück, indem man sie in die Beitragskassen der Sozialversicherung einschießt. Folge: einerseits reizt die wachsende Verteuerung zu umweltfreudlichem Sparverhalten und technologischen Innovationen, andererseits beschäftigen die Unternehmen wegen der sinkenden Lohnnebenkosten mehr Leute.

Eine Vision von genialer Suggestivkraft. Sogar der Chef der EG-Kommission, Jacques Delors, ist inzwischen „Wuppertaler“. Wann, so fragt sich, ist es in den vergangenen Jahren je gelungen, eine ordnungspolitische Bewegung auf nationaler, ja auf europäischer Ebene zu entfachen, indem man sich bloß auf ein plausibel klingendes Konzept berief?

Die Politiker sind dem visionären Zauber des Klimasteuer-Konzepts erlegen, weil darin das Wörtchen „Markt“ als goldener Universalschlüssel aufglänzt. Der nämlich soll Zugang zu einer Welt verschaffen, wo 1. höhere Preise den Naturverbrauch drosseln, 2. viele neue Arbeitsplätze entstehen, 3. ein gehöriger Technologieschub die Öko-Exporte von der Solarpumpe bis zum Energiesparchip nach vorn katapultiert.

Angesichts dieser Trinität senken die bekehrten Politiker ihre Nasen tief hinunter auf ihren neuen Gebetsteppich. Tatsächlich aber ist bis auf den heutigen Tag keine einzige Studie, keine wissenschaftlich fundierte Abschtäzung ausgewertet, die Antwort auf folgende Fragen gibt: Wie viele Jobs könnten denn in den neuen Einsparindustrien Deutschlands – ob für Windräder oder Metallrecycling – durch „ehrliche“ Energie- und Rohstoffpreise entstehen? Wie viele Menschen werden die Firmen wohl aufgrund sinkender Lohnnebenkosten zusätzlich einstellen? Und könnten die steigenden Rohstoff- und Energiepreise den Konsum womöglich soweit zurückdämmen, daß die Einnahmen aus der Klimasteuer versiegen und keine Mittel mehr für ein Absenken der Lohnnebenkosten übrigbleiben?

Dennoch sind etliche Enthusiasten auf den „Zug Klimasteuer“ aufgesprungen. Man glaubt, was man glauben will. Insbesondere wenn das Etikett „marktkonform“ drauf klebt. Sicher, in einer schlechten Welt sind die schönsten Preise natürlich die ehrlichen Preise. Leider nur vermag niemand, die ökologische Ehrlichkeit in D-Mark auszudrücken, weil keiner die Kosten des Naturverbrauchs kennt, etwa die Nutzung der Biosphäre als planetarische Müllkippe. Zwar gibt es begründete Schätzungen und methodische Ansätze, um die Umweltkosten des Wachstums dingfest zu machen (die taz hat sie in ihrer Serie zum Öko-Sozialprodukt vorgestellt). Jedoch besteht bisher kein verbindlicher Konsens, wie sie zu errechnen sind. Viele der Politiker, die nun lautstark nach ehrlichen Preisen rufen, haben die Feststellung ehrlicher Umweltkosten Jahr für Jahr durch Lethargie und kleinliche Bedenken hintertrieben. Das Bangen vor der Zeche war vielleicht zu groß.

Doch jetzt haben bisher Mutlose Mut gefaßt, sind die eigentlich Ahnungslosen von Ahnungen erfüllt. Umbruchgefühl ist vorhanden. Keine Frage, wir brauchen bedeutend höhere Energie- und Rohstoffpreise. Wir brauchen die grüne Steuerreform. Sie steht für den Aufbruch ins marktökologische Neuland. Was wir aber keinesfalls brauchen, ist die Illusion, handliche Dreierpack-Lösungen seien vorhanden. In weniger als 50 Jahren werden weitere fünf Milliarden Menschen Anspruch auf ihre Fenseher, ihre Kühlschränke, ihre Autos anmelden. Das geltende Konsum- und Lebensmodell steht zur Disposition, nichts weniger. Mit einem allein ist es da nie und nimmer getan: mit „ährrrlischen“ Preisen – die zudem keiner kennt.