Skins auf Butterfahrt: endlich im normalen Leben mitmischen

■ Fünf Jahre Arbeit mit rechten Jugendlichen/ Jetzt „klatschen“ türkische Jugendliche rechte Skins/ rechte Organisationen unattraktiv

Sie müssen sich faschistische Sprüche anhören, schlagen sich zwischen besoffenen Jugendlichen die Nächte um die Ohren und lassen sich zum 25sten Mal von einem Lallenden erzählen, wen er wieder alles plattgemacht hat: die sechs SozialarbeiterInnen, die in Huchting, Kattenturm und Horn-Lehe mit rechten Jugendcliquen akzeptierende Jugendarbeit machen. Die Jugendlichen dort sind zum großen Teil arbeitslos und trinken. Gewalt ist alltäglich.

Ein Grundsatz der Arbeit: Jugendliche verhalten sich nicht anders, wenn man sie belehrt, sondern wenn sie neue Erfahrungen machen können — neu ist für sie allein schon, daß sich jemand ihre Geschichten anhört. Ähnliche Projekte gibt es in Lilienthal, Delmenhorst und Achim.

Sie bezeichnen 'Ihre' Jugendlichen als gewaltbereit und rechts — was ist an denen rechts?

Wolfgang Welp:Das Rechtssein bei Jugendlichen definiert sich erst mal über jugendkulturelle Zuordnung: das heißt Skinkult, Oi-Musik, Ausländerfeindlichkeit, nationalistische Überhöhungen, aber ganz oberflächlich. Ideologisch tief rechts ist keiner von denen.

Hören Sie denn auch so was wie „Jetzt gehen wir Türken klatschen“?

Carola Storm:Am Anfang wollten sie uns mit solchen Parolen austesten. Aber jetzt ist das nicht mehr das Thema. Sollte solch eine Aktion angesagt sein, müssen wir natürlich handeln.

Welp:Meistens ist das Gewalt gegenüber anderen Jugendcliquen im Stadtteil, zum Beispiel gegen türkische Jugendliche.

Elke Lutzebäck:Es ist jetzt oft so, daß ausländische Jugendliche kommen, um Skinheads zu klatschen. Die Jugendlichen können das zwar verstehen, weil sie sich auch ganz klar von Solingen abgrenzen, sind aber schon gefrustet, daß sie sich jetzt immer verstecken müssen.

Könnten Sie sich vorstellen, daß 'Ihre' Jugendlichen ein Haus anzünden?

Lutzebäck:Nein, bei meiner Clique in Huchting nicht.

Welp:Im Sinne von geplanten Attentaten halte ich das für ziemlich unwahrscheinlich.

Eins ihrer pädagogischen Ziele ist, diese immens hohe Gewaltbereitschaft zu vermindern — nehmen die denn Ihre Vorschläge für eine gewaltlose Auseinandersetzung an?

Welp:Die Jugendlichen erklären ihre Gewalt ja immer rein defensiv: Angefangen haben immer die anderen, immer sind die Umstände schuld. Das war jetzt auf Norderney auch so, als sich mehrere ziemlich brutal prügelten, reintraten über das notwendige Verteidigungsmaß hinaus — da machen wir den Jugendlichen dann klar, auch in Konfrontation mit dem Opfer, daß sie andere Gründe hatten, zuzuschlagen. Die wissen ja zum Teil überhaupt nicht, welche Interessensgegensätze existieren.

Aber Gewalt hat für diese Jungs ja auch was mit Lust und action zu tun.

Carola Storm:Gewalt übernimmt oft die Funktion, daß überhaupt was passiert. Da ist es dann wichtig, an diese Stellen was anderes zu setzen.

Ich dachte, die lehnen solche Vorschläge von Sozialarbeitern prinzipiell ab?

Lutzebäck:Das war am Anfang so. Mittlerweile sind sie begeistert, wenn wir bowlen gehen oder eine Butterfahrt machen. Bloß haben wir da nicht genügend Geld für.

Das hört sich ja sehr bieder an, verglichen mit der Erlebnispädagogik mit Boote bauen und Segelfahrt.

Welp:Das Normale ist ja im Grunde genommen die Sehnsucht der Jugendlichen.

Wie geht das denn auf so einer Butterfahrt, die sitzen doch sicher nicht brav auf der Bank.

Welp:Da wird natürlich schon viel schockiert, zum Beispiel durch Sprüche, da sind die völig anarchistisch.

Storm:Auf Norderney haben sie sich geschminkt und sind mit ihren Bomberjacken durch die Stadt gegangen, um sich den biederen Leuten zu zeigen. Wir haben ihnen dann gesagt: Wenn ihr Euch so schminkt, dürft ihr aber nicht gewalttätig werden, wenn Euch die Leute als Schwuchteln bezeichnen.

Lutzebäck:Da steht oft das Bedürfnis dahinter, einfach wahrgenommen zu werden.

Sie sagen, die politische Di

Nicht alle Kahlköpfe sind NazisFoto: Archiv

mension des Rechtsseins ist für die Jugendlichen gar nicht so wichtig ...

Welp:Das ist ein Identitätskorsett, was da ganz gut paßt: Als Gruppe aufzutreten, vermeintlich stark zu sein, auch auf der Gewinnerseite zu stehen, rechts ist 'in'.

Aber es gibt doch die Erfahrung, daß im Hintergrund oft ein älterer Vordenker steht .

Lutzebäck:Das kommt schon vor. Meistens kommen solche Leute dann mit Lockangeboten wie Räumlichkeiten. Sobald aber die Jugendlichen selber über

Räumlichkeiten verfügen, sind solche Personen uninteressant.

Da steht Angebot gegen Angebot?

Welp:Ja, aber die, die zum Beispiel bei der FAP oder der NF waren, sind nie lange dabeigeblieben. Nach ein paar Monaten sind sie wieder zurückgekommen. Irgendwann ging es doch in den Organisationen um Parteidisziplin und Schulung, da hatten sie keinen Bock drauf. Die hatten Bock auf action, zum Beispiel einen Stand von der NPD zu schützen. Bei unseren Jugendlichen ist

das eher passe jetzt.

Was ist denn aus denen geworden, mit denen Sie vor fünf Jahren angefangen haben?

Lutzebäck:viele haben einen Job gefunden, haben ihre eigenen Wohnungen, sind ruhig geworden — eben rausgewachsen.

Welp:Dies affektive, fast psychotische Gewaltverhalten gibt es eher bei den Jüngeren. die Älteren kehren die Gewalt eher nach innen und nehmen harte Drogen oder schaffen eben den Sprung ins verhältnismäßig normalisierte Leben. Und damit aber auch in die priavatisierte Gewalt — die ist nur nicht mehr so auffällig. Da wird eben die Frau verprügelt.

Gibt es Momente, wo Sie den Krempel am liebsten hinschmeißen möchten?

Lutzebäck:Ja schon, die Clique in Huchting zum Beispiel hat grad keinen Raum — ich lauf dann wochenlang mit einer Erkältung rum, weil wir den ganzen Tag draußen sitzen müssen. Manchmal hält man auch die sexistischen Sprüche nicht mehr aus — auch wenn sie nur als Provokation gemeint sind.

Welp:Oder wenn angetrunkene Jugendliche einem zum 25sten Mal diesselbe Geschichte erzählen, was sie alles gesoffen haben, wie toll das ist, wen sie alles platt gemacht haben, immer und immer wieder. In so einer Situation kann man schwer intervenieren.

Storm:Mich kotzt es auch an, wie wenig jugendpolitisch getan wird. Zum Beispiel müssen sie raus zuhause, und wir haben keine Möglichkeit, ihnen irgendwo eine Wohnung zu verschaffen. Und wenn wir mal weg gehen sollten, geht das alles auseinander, das ist auch belastend.

Die Polizei hätte gern, wenn Sie auch die Findorffer „Torfsturm“-Gruppe betreuen.

Welp:Ja, das würden wir gern, die Jugendlichen dort sind schon zur Polizei gegangen und haben einen Streetworker verlangt. Geld würden wir vielleicht kriegen, aber keine Mitarbeiter. Jugendarbeit ist zur Zeit völlig out. Fragen: Christine Holch