Der Täter kommt aus der Familie

Abschlußbericht des Projekts „Wildwasser“ für sexuell mißbrauchte Mädchen vorgestellt / Streit um Verjährungsfristen zwischen Jugend- und Justizministerium  ■ Aus Bonn Myriam Schönecker

Das Thema „sexueller Mißbrauch“ hat zweifelsohne Konjunktur – voyeuristisch aufgemachte Reportagen diverser Magazine inklusive. In diese Zeitgeist- Diskussion fällt auch die Veröffentlichung des Abschlußberichts des Modellprojekts „Wildwasser“, das in Berlin eine Beratungsstelle sowie eine Zufluchtswohnung für sexuell mißbrauchte Mädchen anbietet. Der Bericht wurde gestern in Bonn von der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Frauen und Jugend, Cornelia Yzer, vorgestellt. Mit ihm endet die Förderung durch das Ministerium. Weiterfinanziert wird „Wildwasser“ jedoch vom Berliner Senat.

Zur Aufmerksamkeit heischenden Tabu-Geschichte taugt der Bericht wenig. Die dreieinhalbjährige Untersuchung der „Wildwasser“-Arbeit liefert vielmehr statistisches Material: Sexueller Mißbrauch geschieht überwiegend innerhalb der Familie. Bei über der Hälfte der Mädchen, die in der Beratungsstelle von „Wildwasser“ Hilfe suchten, und bei annähernd 90 Prozent der Mädchen aus der Zufluchtswohnung war der Mißbrauch durch Männer aus der Familie nachgewiesen. 70 Prozent der fast 300 Mädchen mußten Manipulationen an ihrem Körper ertragen, 44 Prozent wurden vaginal, oral oder anal penetriert. Altersunabhängige Folgen der sexuellen Gewalt reichen von Schlafstörungen bis zu Kontaktproblemen. Ältere Mädchen sind überproportional mit Suchtproblemen und Suizidgedanken belastet.

Bei der Vorstellung des Berichtes kündigte Staatssekretärin Cornelia Yzer erneut eine Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen zum Schutz mißbrauchter Mädchen an. Nach den Vorstellungen des Frauen- und Jugendministeriums sollen zum einen die Verjährungsfristen für Mißbrauch und Vergewaltigung geändert werden: Dabei soll die Verjährungsfrist erst ab der Volljährigkeit des Opfers beginnen. Damit soll dem Mädchen Zeit gegeben werden, sich psychisch zu stabilisieren und materiell unabhängig zu werden. Ein Entwurf des Justizministeriums sieht dagegen vor, die Grenze bereits bei einem Alter 14 Jahren zu setzen.

Zum anderen, so Yzer, sollte durch eine Änderung der Strafprozeßordnung erreicht werden, daß die Vernehmung des Kindes vor Gericht auf eine Sitzung beschränkt bleibt. Die Parlamentarische Staatssekretärin forderte auch, den Gewaltbegriff im Strafrecht neu zu formulieren. „Gewalt ist immer Voraussetzung von Vergewaltigung“, so Yzer, auch wenn die Kinder aus völliger Unsicherheit oft nicht mit Abwehr reagierten. Und natürlich forderte sie ein bundesweites Netz von Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen für mißbrauchte Mädchen. Zur Zeit gibt es ganze 18 Mädchenhäuser in Deutschland, davon gerade mal eines in den neuen Ländern.