Die Wilden von der Wagenburg

■ Einige Rollheimer vom Potsdamer Platz haben das alte Stadtgut Schönerlinde in Pankow bezogen / Träume von Bienenvölkern, Regenwurmzucht und Recycling

Zielstrebig geht der junge Mann mit den blonden Rasta-Locken auf die ältere Dame zu: „Guten Tag, ich bin einer aus der Wagenburg. Bin ich ein Monster?“ Die blickt ihm etwas unsicher ins Gesicht. Gerade noch stand sie vor dem Zettel, den ein emsiger Leser im Supermarkt in Karow aufgehängt hat. Von den „Wilden aus der Wagenburg“ ist die Rede, und von ihren kriminellen Machenschaften. „Die Obdachlosen kommen!“ steht mit Edding daneben geschrieben. Innerhalb von fünf Minuten ist sie jedoch überzeugt, daß man mit den Leuten in den Wohnwagen Nachbarschaft halten könnte. Die sähen nicht so aus, als würden sie in die Schrebergärten einbrechen, findet sie.

Während die Bewohner der Wagenburg am Engelbecken sich immer noch gegen den Umzug nach Pankow sträuben, hat das ehemalige Stadtgut Schönerlinde schon seine ersten neuen Bewohner. Vor 13 Jahren war das Gut im Berliner Norden aufgelöst worden, das jetzt vom Senat als Alternativstandort für die Wagenburg ausgeguckt wurde. Nun steht in blauen Lettern „Rollheimerdorf“ auf einem großen Schild, das an einem der verfallenden Schweineställe aufgehängt ist. Vergangenen Samstag rollten die ersten Wohnwagen von der Wagenburg an der Köthener Straße nach Norden gen Karow.

„Wir haben davon gehört, daß das Gelände hier für die Wagenburg vorgesehen ist, und da sind wir gleich hergefahren“, sagt Christoph, der mit den Rasta-Locken. Das Gelände habe sie gereizt, die Verbindung von Stadt und Land. Direkt gegenüber dem Gelände liegt ein Naturschutzgebiet, nach Buchholz und Karow hin erstrecken sich Laubenkolonien. Aber man sei mit dem Auto in 18 Minuten am Potsdamer Platz, sagt Axel. Kein Problem. Und der S-Bahnhof sei genau 1,5 Kilometer weit weg, das hätten sie ausgemessen.

„Wenn wir hier sind, können die außerdem nicht mehr an uns vorbei planen“, sagt ein anderer. Der Senat werde sonst sicher die meterhohe Vegetation, die an jeder unbetonierten Stelle wuchert, abholzen und alles planieren lassen. Ein paar von den Schweineställen sollen ebenfalls bleiben, um eine Holz- und eine Metallwerkstatt einzurichten. Auch einen kleinen Laden wollen sie aufmachen, für die nötigste Versorgung. „Wir wollen nicht die Fehler anderer Wagenburgen wiederholen, sondern von vornherein ein gutes Konzept haben“, sagt Axel. Eine vorbildliche Mülltrennung und -entsorgung schwebt ihnen vor und ein Komposthaufen mit Regenwurmzucht. Der Gymnasiast Stefan will im nächsten Jahr schon Bienenvölker halten. Wenn er erst einmal Landwirtschaft studiert, plant er Projekte mit den Bauern im Umland.

Den wenigen Nachbarn in der Umgegend haben sie sich gleich vorgestellt. „Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht,“ sagt Christoph. Auch mit dem Kontaktbereichsbeamten und dem Bürgermeister machten sie sich bekannt. Sogar im Karower Kulturhaus „Ottomar Geschke“, in dem sich die rechte Szene aus der Umgebung trifft, haben sie mit der Pächterin gesprochen. Die habe zwar gesagt, von ihren Jungs sei weniger zu befürchten als von den Karower Bürgern, trotzdem wollen sich die Rollheimer den Leuten selbst auch vorstellen – „wenn man mit einem geredet hat, schmeißt der keinen Molotow-Cocktail in die Bude“, hofft einer – und für den Notfall verfügen sie auch über ein Funktelefon.

Ob jedoch die Wagenburgler aus dem Engelbecken sich den müllsortierten und projektorientierten Vorstellungen gegenüber aufgeschlossen zeigen, wenn sie überhaupt kommen, muß sich zeigen. Die selbsternannte „Vorhut“ jedenfalls ist optimistisch: Die Leute aus dem Engelbecken würden bestimmt auch lieber nicht zwischen Müllhaufen wohnen, vermuten sie. Und vielleicht ergebe es sich ja auch, daß ein paar von denen Jobs bei der Recycling- oder der Kühlgerätefirma in der Nachbarschaft fänden. Corinna Raupach