■ Bonn-apart
: Hundertmal für Bonn

Bonn (taz) – Erinnern Sie sich? Noch vor gut zwei Jahren war Bonn eine Stadt blühenden Lebens und emsigen Beamtenbetriebs. Vorbei. Seit dem überfallartig beschlossenen Umzug der Regierung nach Berlin erlischt nach und nach alles Leben in der ehemaligen Bundeshauptstadt am Rhein. Die Einwohnerzahl schrumpfte von respektablen 300.000 auf lumpige 30.000. Ein gespenstisches Bild bietet das Regierungsviertel: Durch ausgestorbene Straßen treibt der Wind vergilbte Bundestagsdrucksachen und nicht ausgefüllte Spesenquittungen.

Geldmangel zwang die Stadtverwaltung gar, das ehemals renommierte Bonner Schiller-Theater zu schließen. Die Regierung im fernen Berlin nutzt derweil jede verfügbare Mark für sinnlose Bundeswehreinsätze in irgendwelchen namenlosen afrikanischen Kleinstaaten — als hätten die Bonner nicht stets davor gewarnt, der militaristische Geist der alten Reichshauptstadt werde die Bundespolitik an der Spree infizieren.

Eine traurige Geschichte. Gott sei Dank ist sie frei erfunden. Rechtzeitig gewarnt zu haben – dieses Verdienst gebührt einigen hundert Bonnern, die seit dem Umzugsbeschluß an jedem verkaufsoffenen Donnerstagabend auf dem Bonner Marktplatz gegen den Ausverkauf der Bonner Demokratie demonstrieren. Man hat sie verlacht, man hat sie verspottet, die Stadt Bonn hat ihnen den Strom abgestellt, aber sie ließen sich nicht beirren und demonstrierten weiter – für Bonn und gegen den „nationalen Größenwahn“. Vorgestern abend kamen sie zum hundertsten mal zusammen. Das sei doch „ein Phänomen“, meinte ein Redner, „daß es in unserem Land noch nicht gegeben hat“.

Dabei hatten die Demonstranten von Anfang an mächtige Gegner. Den Bonner Regen. Die Bonner CDU, die ihren Repräsentanten Auftritte auf der Demonstration verbot, weil sie den Ruch der Lächerlichkeit fürchtete. Oder die vier Familien, die nach alter Tradition und jüngsten Zeitungsberichten die Macht in der Stadt unter sich aufteilen. „Wieso sind diese Familien hier nicht vertreten?“, zürnte am Donnerstag ein Redner.

Aber die Demonstranten haben auch starke Verbündete. Daß nach einer langen Regenperiode ausgerechnet an diesem Abend die Sonne scheine, meinte ein Mann hinter dem Mikrophon, beweise eindeutig: „Gott ist auf der Seite der Gerechten.“ Und wahrhaftig: Der Regen setzte erst eine halbe Stunde später ein – über Bonn, der ewigen Hauptstadt. Hans-Martin Tillack