Solinger Sommertheater

■ Vorzensur bei den "Tagesthemen" / Ein Gespräch mit ARD-Programmdirektor Günter Struve

Als Konsequenz aus der klaren Kommentierung der Morde von Solingen in den „Tagesthemen“ hat die ARD eine Vorzensur installiert: Der Politikkoordinator der ARD soll gegenüber den Chefredakteuren in Zukunft ein „Vetorecht“ bei der Auswahl von Kommentatoren haben (die taz berichtete). Insbesondere die expliziten Kommentare von Klaus Bednarz (WDR), Fritz Pleitgen (WDR) und Georg M. Hafner (HR) hatten nicht nur bei konservativen ARD- Intendanten wie Günter von Lojewski (SFB) und Peter Voß (SWF) Empörung ausgelöst. Voß tat seinen Unmut gar in der Springer-Zeitung Berliner Morgenpost kund, was ihm wiederum eine Rüge der Kollegen einbrachte. Die IG Medien und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) haben die Vorzensur bei den „Tagesthemen“ als „grotesk“ bezeichnet und fordern, daß „die Kommentierung weiterhin in der Kompetenz der Chefredakteure verbleibt“.

taz: Herr Struve, wie geht das zusammen: Eine Initiative der ARD gegen rechtsextreme Wahlspots und nach einigen klaren Kommentaren zu den rassistischen Morden von Solingen ein neues Vetorecht bei den „Tagesthemen“?

Günter Struve: Das geht sehr gut zusammen, weil es überhaupt keine neue Lage ist. Denn seit Jahren hat jeder der insgesamt acht Koordinatoren der ARD ein aufschiebendes Vetorecht. Und das hat der Politikkoordinator natürlich auch. Er hat es noch nicht wahrgenommen. Es gibt also nichts Neues – für mich ist das ein reines Sommertheater.

Aber irgendwer hat das Sommertheater, wie sie sagen, ja ausgelöst. Haben Sie sich geäußert, oder kam das wie von selbst aus dem Ticker?

Geäußert habe ich mich nur auf Anfrage. Da wurde ich gefragt, ob es zutrifft, daß es ein Vetorecht des Politikkoordinators gibt. Und das habe ich wahrheitsgemäß mit ja beantwortet. Daß es seit Jahren besteht, ist eine wichtige Ergänzung. Daß es bisher nicht angewendet wurde, obwohl es nach meiner Meinung schon hätte angewendet werden sollen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wir haben das große Privileg, daß wir 13 Chefredakteure haben in der ARD, da kann es mal zu unterschiedlichen Meinungen kommen.

Aber das konnten ja bisher die Chefredakteure in ihrer Schaltkonferenz regeln...

Doch darf man jemand kommentieren lassen, der persönlich betroffen ist, der über jemand einen Kommentar spricht, mit dem er sich vor Gericht balgt? Ich meine den Fall Heinz Klaus Mertes/Günter Wallraff. Das wäre ein Fall für das Vetorecht des Politikkoordinators gewesen.

Nochmal: Die Lage hat sich ihrer Meinung nach den fünf Solingen-Kommentaren nicht verändert? Warum haben sich dann die Intendanten von Lojewski (SFB) und Voß (SWF) selbst in der Öffentlichkeit so kritisch geäußert?

Die Frage ist doch: Wenn ein Fernsehsystem wie unseres nur einen Meinungskommentar pro Tag regelmäßig vorsieht – ist dann die Ballung von fünf Kommentaren zum gleichen Thema richtig? Das haben ja auch etliche Chefredakteure anders gesehen. Ich denke, da sollte die Wachsamkeit ansetzen. Es ist ja überhaupt nicht so, daß damit der harte Meinungskommentar abgeschafft werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Manche Fernsehdirektoren ärgern sich häufiger über die Laschheit, mit der hier Meinung gesprochen wird, als über die Härte. Ein Unternehmen wie unseres muß allerdings die Pluralität widerspiegeln, wir sind ja nicht SPD-, CSU- oder Grün-zugehörig.

Die Kommmentare von Pleitgen, Bednarz und Hafner, die ersten in der Reihe der fünf Solingen- Kommentare, haben sich ja gerade durch Härte ausgezeichnet...

Die sind damit natürlich nicht gemeint. Ich meine das grundsätzlich, auf die insgesamt etwa 250 „Tagesthemen“-Kommentare im Jahr bezogen. Vieles ist da oft zu abgewogen.

In den Zeitungen stand, die Solingen-Kommentare wären von den Chefredakteuren einstimmig ausgewählt worden. Die Kritik kam also nicht nur von den Fernsehdirektoren und Intendanten?

Das ist nicht in jedem Fall einstimmig passiert – und das ist auch so protokolliert. Es hat durchaus unter den Chefredakteuren die Fragestellung gegeben, ist es richtig, fünfmal hintereinander zum selben Thema kommentieren zu lassen. Die Zeitungen haben in jenen Tagen ja auch andere Themen kommentiert.

Interview: Hans-Hermann Kotte