Tödlicher Verkehr

■ Gefahr durch Lärm und Schadstoffe größer als Unfallgefahr

Wer sich gegen die Gefahren im Straßenverkehr wirklich schützen will, sollte statt eines Helmes lieber eine Gasmaske und Ohrenstöpsel tragen. Denn auf Deutschlands Straßen sterben mehr Menschen durch Schadstoffbelastung und durch Lärm als durch Unfälle. Das ist das Ergebnis der Studie „Verkehrsopfer in Bremen“, die der Bremer Mediziner Johannes Spatz erarbeitet hat. Sein Fazit für das Jahr 1992 lautet: „In Bremen ist die tödliche Gesundheitsgefahr, die von Lärm und krebserregenden Schadstoffen des Straßenverkehrs ausgeht, deutlich höher als die Gefahr tödlich verlaufender Unfälle. Die Zahl der Verkehrsopfer beläuft sich jährlich auf 100 Tote (24 Unfalltote, 20 Herzinfarkttote und über 50 Krebstote).“

Für das Herzinfarktrisiko zitiert der Bremer Arzt eine Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA). Übertragen auf die Situation in der Hansestadt kommt er zu dem Schluß, daß „über drei Prozent der Herzinfarkte in Bremen auf den Straßenlärm zurückzuführen sind. Und selbst drei Prozent bedeuten bereits 20 Tote.“ Das UBA vergleicht das Risiko durch Lärm mit dem Asbestrisiko – wobei das Todesrisiko bei Lärm zehnmal höher sei als in einer asbestverseuchten Schule. Bei einer Durchschnittsbelastung von 65 bis 75 Dezibel sollte nach Meinung der Berliner Umweltschützer „die Notbremse gezogen werden.“ In Bremen, zitiert Johannes Spatz offizielle Angaben des Umweltsenators, gibt es acht Straßen, deren Lärmpegel konstant über 75 Dezibel liegt.

Für das „Krebsrisiko Autoverkehr“ ist die Situation noch dramatischer. Spatz bezieht sich auf den Bericht „Krebsrisiko durch Luftverunreinigungen“, der im vergangenen Jahr von den Umweltministern der Länder veröffentlicht wurde. Demnach verursacht der Kfz-Verkehr 80 Prozent der Krebsfälle, der durch die Außenluft entsteht. Als schlimmstes Krebsgift macht der Bericht den Dieselruß aus. Nach vorsichtigen Schätzungen geht der Bericht der Umweltminister von zwei Prozent Krebsfällen durch diese Schadstoffe aus. Auf Bremen umgerechnet ergibt sich für Spatz die Zahl von 54 Menschen im Jahr. „Das bedeutet für Bremen, daß die Zahl der jährlichen Krebstoten in Folge des Straßenverkehrs mehr als doppelt so hoch ist als die Zahl der Personen, die an Verkehrsunfällen sterben.“

Auch die Situation in Berlin hat Johannes Spatz untersucht. Er kommt zu erschreckenden Ergebnissen für die Brückenstraße, die belastetste Straße Berlins: „Das Krebsrisiko ist fünfmal so hoch wie im Berliner Durchschnitt, hinzu komt eine nahezu unglaubliche Lärmbelastung von 80 Dezibel.“ Es sei unerklärlich, warum in der Brückenstraße keine Maßnahmen getroffen würden, wenn Schulen bereits bei vier Prozent dieses Krebsrisikos geschlossen würden.

Angesichts seiner Zahlen fordert der Bremer Arzt ein „radikales Umdenken: Verkehr ist eine Krankheit. Die Symptome sind Unfalltod, Krebs und Herzinfarkt. Ärzte und Äztinnen müssen lernen, daß ein Teil ihrer Aufgabe darin besteht, Krankheit und Tod zu verhindern und dies nicht nur durch Skalpell und Medizin, sondern auch durch politische Einflußnahme.“ Bernhard Pötter