„Erst einmal erledigt“

Roma-„Mahnwache“ wartet bei Kehl auf Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs  ■ Aus Kehl Ulrich Fuchs

„Die Herren sind jetzt alle schon gegangen“, sagt die Frau im Vorzimmer des Kehler Oberbürgermeisters. Und: „Wenn Sie wüßten, was heute hier schon los war, aber für uns ist die Sache jetzt erst einmal erledigt.“

Es ist Freitag nachmittag. Wochenendstimmung. Selbst beim badischen Sommer, was in diesen Wochen selten genug vorkam. Die „erledigte Sache“ lagert vor der Stadt im freien Feld.

Auf dem letzten Stück sind es nur noch asphaltierte Feldwege, die an der Bahn entlang und dann zwischen Mais- und Getreidefeldern hindurch zum Lagerplatz führen. Im Schutz der Baumreihe werden die Zelte aufgeschlagen. Mit wilden Handbewegungen versucht Rudko Kawczynski immer wieder die Fliegen zu vertreiben – „Nein, kein Parmesan, ich hasse Parmesan“ – die Spaghetti werden kalt sein, lange bevor er zu Ende gegessen hat.

Der Sprecher des Roma National Congress (RNC) ist ein vielbeschäftigter Mann, auch jetzt, wo der schlimmste Trubel für diesen Tag erst einmal vorbei ist. „Die Leute wissen gar nicht, wie wichtig dieses Fleckchen hier ist“, hebt Kawczynski an, neben dem Spaghetti-Teller meldet sich das Funktelefon. „Ja, wir werden, nein, das muß man differenzierter sehen.“ Am Donnerstag war plötzlich Polizei im Lager der 500 von Abschiebung bedrohten Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgetaucht.

Am Freitag vormittag hat die Gruppe den Platz verlassen müssen, auf dem sie über zwei Wochen campierte.

Der neue Lagerplatz, den die Roma von einem Bauern gepachtet haben, ist kaum 500 Meter Luftlinie von dem alten entfernt. Nach einer Verfügung der Stadt Kehl durften nur etwa 30 Personen als eine Art Mahnwache hierher umziehen.

Aber wer in den letzten Tagen schon einmal die Gruppe in Kehl besuchte (und damals schon zweifeln mußte, daß sie tatsächlich noch 500 Personen stark gewesen sei), hat den Eindruck, daß sich mit Ausnahme des Platzwechsels kaum etwas verändert hat.

„Doch, doch“, sagt Kawczynski, „es sind welche weitergefahren“. Das wäre im übrigen auch so geplant gewesen. Weil nächste Woche von Unterstützergruppen bundesweit organisierte Demonstrationen und Grenzblockaden anlaufen, an denen sich auch ein Teil der Kehler Roma beteiligen wollen. In den vergangenen Wochen hatte Kawczynski noch auf das Zusammenbleiben der Gruppe als „einziger Schutzmöglichkeit“ für die zum Teil akut von Abschiebung bedrohten Roma beharrt.

Jetzt ist anderes wichtiger geworden: „Zum ersten Mal“, sagt Kawczynski, „sind wir nicht mehr davon abhängig, nur geduldet zu werden. Jetzt kann man nicht mehr darauf setzen, daß wir irgendwann verschwinden. Von hier aus können wir endlich in Ruhe das Verfahren durchziehen.“

Nach Kehl sind sie gekommen, um im benachbarten Straßburg beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Bundesrepublik zu erheben. Weil der Staat, aus dem die Roma kommen, gar nicht mehr existiert, so Kawczynski, „dürfen die Leute auch nicht weiter ins Asylverfahren abgedrängt werden.“

Kawczynskis Ton wird scharf. Von „ethnischer Säuberung“ ist die Rede, von „Deportation in Krisengebiete, die derzeit einem Völkermord gleichkommt.“ Bei der derzeit täglich praktizierten Abschiebung werde gegen die Menschenrechte verstoßen.

„Unser Minimalziel“, ist der schnauzbärtige Mittvierziger überzeugt, „eine Verurteilung der Bundesrepublik werden wir erreichen.“ Seit dem 16. Mai sind die Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien jetzt schon unterwegs, um ihre Maximalforderung, die Anerkennung als ethnische und kulturelle Minderheit und damit ein Bleiberecht in Deutschland durchzusetzen.

In Straßburg konnte Kawczynski vergangene Woche erste Erfolge für die Anliegen der Roma verbuchen. „Ich bin von den Argumenten der Roma beeindruckt“, sagte der stellvertretende Generalsekretär des Europarates, Peter Leuprecht. Man wolle auf die Bundesrepublik einwirken, um weitere Abschiebungen zu verhindern.

Im „ersten privaten Flüchtlingslager auf deutschem Boden“ (Kawczynski), wo kaum jemand deutsch spricht und die Mehrzahl Kinder sind, wissen die wenigsten im Detail, was im Moment passiert. Das hat Kawczynski auch den Vorwurf eingebracht, die Roma für seine politischen Ziele auszunutzen.

„Wenn ein Roma sich mit den Gesetzen auskennt und sich ausdrücken kann, paßt das denen dann auch wieder nicht“, sagt Maritta Zimmer vom RNC dazu.

„Wir sind zum Prüfstein für den Rechtsstaat geworden,“ sagt Kawcynski. „Auf diesen Platz kann nur noch im Rahmen des Ausländergesetzes zugegriffen werden. Bleiberecht oder Abschiebung – dazwischen gibt es hier nichts mehr.“