Nachschlag

■ Im Sog der Dummheit

Jeden Samstagabend im Juli mietet ein Herr um die 60 namens Bröker in Charlottenburg den im Erdgeschoß gelegenen kahlen Raum einer Pantomimeschule, stellt zwanzig Stühle auf und wartet auf Zuhörer seiner als „Kunstgespräch“ angekündigten Vorträge. Treffen Hörwillige ein, heißt der Herr sie beglückt willkommen und erläutert umgehend die ihn verstimmende Saalakustik nebst seiner ihm in der Folge fremd gewordenen eigenen Stimme. Das angekündigte Eintrittsgeld von 10 DM sammelt Herr Bröker nicht ein. Im übrigen wäre das auch unpassend, denn wir haben es mit einem Phänomen zu tun, das schamlose, unbekümmerte, ja unverschämt maßlose Mitteilungssucht genannt werden muß. Sie zahlt, konsequent, selbst.

Groß kann der Sog Gott sei Dank nicht genannt werden, der von dem diesmaligen Titel „Kunst im Sog der Dummheit“ ausging. Es blieb bei vier Damen, die sich möglichst weit voneinander entfernt plazierten. Zur Verblüffung der Berichterstattenden hörten sie Herrn Brökers als halbstündig angekündigten, dann endlos anhaltenden Ausführungen geduldig zu, mit leuchtenden, wie es schien, überaus zustimmenden Augen. Daß an diesem milden Samstagabend nicht mehr Menschenkinder gekommen sind, um den außerordentlich wichtigen Gedanken des Herrn Bröker zum außerordentlich gefährlichen Zustand der Welt zu lauschen, weiß Herr Bröker selbst zu erklären: „Schuld sind die Vernissagen, die an diesem Abend stattfinden!“ Aus dem Publikum wird weise ergänzt: „Die meisten gehen da doch nur hin, weil sie umsonst ein Glas Wein kriegen.“

Als Philosoph („Ich bin über die Philosophie zur Kunst gekommen“) sagt Herr Bröker dasselbe etwas komplizierter. Wozu ist man als Mann auf diese entehrte Welt gekommen, wenn nicht, um sie den Weibsbildern zu erklären? Mit bewegter Stimme predigt er: „Wer die Kunst ernst nimmt, muß an ihr leiden!“ „Schmerzlich, beschämend, peinlich“ sei sie heute, aber Herr Bröker will nicht verzweifeln. „Begriffe“ müssen her, die helfen, „die Dinge besser zu verstehen“. Welche Begriffe? Herr Bröker zählt auf: 1) Die „Mache“ bzw. Das „Machwerk“ („Denken Sie einmal darüber nach! Machwerk kommt von Machen“), 2) die „Mode“ („Ich dächte, in Gestalt dieser zweiten Größe haben wir schon etwas in der Hand“), 3) die Dummheit („ein Begriff, der mir schon recht wichtig ist im Hinblick auf die Zeit, in der wir leben – Dummheit nicht im Sinne von Debilität, auch nicht Dummheit im Sinne einer falschen Entscheidung, nein!! Dummheit meine ich, die sich mit Intelligenz paart, die Dummheit der Klugen, die Dummheit derjenigen, die viel zuviel wissen!“). Herr Bröker sagt: „Tageszeitungen lese ich nicht.“ Und: „Die Welt ist ihrer Freiheit beraubt.“ Herrn Brökers liebstes Beispiel für die von ihm exklusiv erkannte Dummheit der Klugen läßt jedoch auf maßvollen Medienkonsum schließen, er gibt zu: „Ich mache mir einen makabren Spaß daraus, die Schlagzeilen zu studieren.“ Deshalb weiß Herr Bröker genau, was besonders verlogen ist: Bonn! „Die Herren aus Bonn mit ihrem entsetzlichen Sprachgebrauch.“ Auch Somalia und Schiller Theater sind Herrn Bröker ein Stachel im Fleisch seiner öden Einsichten. Und die Kunst? Ach ja, die Kunst. Die hätte er fast vergessen. An ihr wird „Verraat“ begangen. Sie ist das „Opffer“ der Dummheit... 22 Uhr: Die Bröker-Maschine blökt immer noch. Ina Hartwig

Nächstes „Kunstgespräch“ am 31.7., Suarezstraße 31, ab 20 Uhr.