Doping wegen Dilemma

Österreichs Sprintstaffel outet sich selbst / Von Feindbildern, Verfolgungswahn und anderen Psychosen  ■ Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – Nein, er dürfe nichts sagen, sagte Professor Manfred Donike der taz noch am Montag. Nicht einmal, daß die Urinfläschchen der Sprinter aus der Alpenrepublik in seinem Labor seien. Woher Zeitungen bereits wüßten, daß irgend etwas faul sei im Staate Austria? Der Kölner Harn-Spezialist vermutete gewisse Parallelen zum Fall der Katrin Krabbe: „Die Spitzensportler haben alle ihre Hofberichterstatter.“ Und wenn sie bei einer Dopingkontrolle ein mulmiges Gefühl beschleiche, gingen sie eben an die Öffentlichkeit. Offensiv-Verteidigung, nennt man die Taktik im Fußball. So hat der Professor nichts sagen dürfen, aber damit alles gesagt, was es zu sagen gab: Österreich hat seinen Dopingskandal.

Nun mag es einige verwundern, daß im Lande der Abfahrer Leichtathletik überhaupt betrieben wird. Aber immerhin rühmte sich die sportpatriotische Nation eines Andreas Berger, des einzigen weißen Sprinters, der im Wettkampf der weltschnellsten schwarzen Beine mithalten könne. Zu besten Zeiten mit 10,15 Sekunden. Dieser, nebst seiner Staffelkollegen Franz Ratzenberger, Thomas Renner und Zehnkämpfer Gernot Kellermayr, dürfte wohl am Freitag in Vöcklabruck sein letztes Rennen gelaufen sein.

Am Montagabend in der österreichischen Fernsehsendung „Sportarena“ hat die Quadriga nun selbst gesprochen. Und sich geoutet. Ja, man habe gedopt, gestand Andreas Berger, selbst Mitglied in der österreichischen Aktionsgruppe „Sportler gegen Doping“. Er sei in einem „wahnsinnigen Dilemma“ gewesen. Das Dilemma des 32jährigen Sprinters ist Alltag im Spitzensport und heißt schlicht Erwartungsdruck: Zwei Fehlstarts bei den Olympischen Spielen in Barcelona, damit bereits disqualifiziert im Vorlauf, eine verpatzte Hallensaison, zwei Achillessehnen-Operationen und ein Leistenbruch. Andreas Berger: „Im Training lief nichts mehr.“

Aufhören oder dopen? In einem Alter, in dem Sprinter früher auch ohne Verletzungssorgen den Rentenantrag stellten, wollte oder konnte Berger nicht aufhören. Es sei leicht gewesen, an Anabolika heranzukommen. „Das ist unter Spitzensportlern kein Tabu.“ Jetzt muß er aufhören. Vier Jahre sind der Hallen-Europameister von 1989 und seine drei Kollegen, die Berger mit hineingerissen haben will, international gesperrt.

Servus. Das wär's dann wohl? Nicht ganz, denn die Details der Geschichte entbehren nicht einer gewissen Komik, und dürften Futter für die Erfinder neuer Österreich-Witze liefern. So der zunächst kolportierte Name des unlauteren Präparates Deca-Durabolin (dpa brachte gestern das Mittel Methan-Dienon ins Gespräch). Was den Heidelberger Zellbiologen Werner Franke sehr verwunderte: „Das ist eigentlich out. Denn es ist besonders gut nachweisbar.“ Und vor allem lange. Nicht lange konnte Andreas Berger seine These vom Unschuldslamm aufrechterhalten. Am 6. und 7. Juli hatte ein Dopingkontrolleur des Internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF) dem Quartett einen Trainingsbesuch abgestattet. Unangemeldet. Und ausgerechnet ein Deutscher mußte es sein, der die Herren zum Urinlassen bat, Klaus Wengoborski. Was die Minderwertigkeitskomplexe der sportlichen Alpenrepublik zur Psychose (Diagnose: Verfolgungswahn) auswachsen ließ. Die österreichische Journaille ließ Berger treuherzig beteuern, er habe ein „reines Gewissen“. Es schaue so aus, „als ob ihnen jemand ganz übel mitspielen“ wolle. Sie hätten ohnehin das „Gefühl, daß sie nicht nur Freunde“ hätten. Wengoborski habe sich als „Journalist und nicht als Kontrolleur“ ausgegeben – und so fort im Lügenkonstrukt.

Irgendwie ist es menschlich ja verständlich, daß ein Ertappter (not)lügt. Weil er nicht wahrhaben will, daß er betrogen hat wie ein Alkoholabhängiger, der behauptet, die Bierchen nicht zu brauchen, die er täglich konsumiert. Genauso wenig wie ein alternder Sportler aufhören kann, wenn aus physiologischen Gründen längst Schluß sein müßte. Weil er das Gefühl braucht, ein VIP, eine very important (sports)person zu sein? „Scheinbar sind wir wichtiger, als wir uns selbst nehmen“, soll Berger gesagt haben, als er der IAAF seinen Harn spenden mußte.