„Das Ganze ist eine Groteske“

■ Interview mit Anwalt Roman Fränkel zur „Fristenregelung“ im Asylverfahren durch den Bundesgrenzschutz

taz: Seit wann bestimmt in Deutschland der Bundesgrenzschutz – also die Exekutive – juristische Fristen im Zusammenhang mit dem Asylverfahren?

Roman Fränkel: Das Ganze funktioniert folgendermaßen: Wird ein Asylantrag vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als – offensichtlich unbegründet – abgelehnt und der Betroffene hat einen Eilantrag gegen diese Entscheidung beim Verwaltungsgericht eingereicht und dort einen ablehnenden Bescheid erhalten, beginnt der Bundesgrenzschutz mit den Vorbereitungen der Abschiebung mit dem nächsten Flugzeug in Richtung Heimatland des Flüchtlings. Auch wenn der abgelehnte Asylbewerber danach über einen Anwalt Verfassungsbeschwerde eingereicht haben sollte, hat das für den Bundesgrenzschutz keine aufschiebende Wirkung. Die Abschiebung wird weiter vorbereitet. Erst gestern wurde ein Asylbewerber, der Verfassungsbeschwerde einreichen wollte, abgeschoben.

Der Bundesgrenzschutz ist nur dann bereit, von einer vorschnellen Abschiebung abzusehen, wenn das Bundesverfassungsgericht ihn mündlich oder schriftlich darum bittet. In diesem Fall bestimmt der Bundesgrenzschutz aber die Frist, in der das höchste deutsche Gericht zu einer Entscheidung kommen muß. Und das ist in der Regel der nächste Abflugtermin.

Es hängt also von der Willkür des BGS ab, ob und wann ein Asylbewerber, der sich an das BVG gewandt hat, das Land dennoch verlassen muß?

Rechtlich nicht – aber faktisch. Das Bundesverfassungsgericht unterwirft sich praktisch den Wünschen des Leiters der Bundesgrenzschutzstelle am Flughafen. Dabei gibt es überhaupt keinen Grund, daß sich das Bundesverfasungsgericht von einer Exekutivbehörde unter Zeitdruck setzen läßt. Das Ganze ist doch eine Groteske. Wir haben in den anhängigen Verfassungsbeschwerden nachdrücklich gerügt, daß dieses Flughafenverfahren auch durch den Zeitdruck, unter den auch die Richter gesetzt werden, verfassungswidrig ist. Ein Richter darf vom Gesetzgeber nicht unter Zeitdruck gesetzt werden – und schon gar nicht durch eine Exekutivbehörde.

Wir haben jetzt folgende Situation: Das Gericht, das über die Verfassungskonformität der neuen Asylgesetzgebung entscheiden soll, unterwirft sich in diesen Verfahren einer Frist, die von der Exekutive – noch nicht einmal von der Legislative – per Telefonat dem Bundesverfassungsgericht auferlegt wird. Das halte ich, zurückhaltend formuliert, für ein sehr unglückliches Procedere. Im Grunde entscheidet der Flugplan über das Schicksal von Menschen.

Es könnte also der Fall eintreten, daß der BGS einen Flüchtling abschiebt, weil das BVG nicht in der vom BGS abverlangten Frist zu einer Entscheidung gekommen ist – möglicherweise nur aus Gründen der Arbeitsüberlastung?

Das könnte durchaus passieren, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht innerhalb der vom BGS festgelegten Frist eine Entscheidung gefällt hat. Es wäre aber auch denkbar, daß das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Fall noch einmal beim Bundesgrenzschutz anruft und noch einmal darum bittet, daß die Frist verlängert wird. Ich weiß allerdings nicht, ob sich eine solch devote Praxis mit der Position und der Würde, die diesem Gericht eigentlich zustehen sollte, vereinbaren läßt?

Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt