■ ARD-Intendanten gegen Werbespots rechter Parteien
: Im Dienste einer guten Sache

Die „Freiheit des Andersdenkenden“ ist ein hohes Gut – wenn nur die anderen nicht so quälend und hemmungslos anders dächten! Das Land, dessen Konsensbedarf schier unstillbar ist, kennt noch immer keine halbwegs krisensicheren Übereinkünfte, was die Grundregeln des politischen Kampfs anbelangt. Ob diese etwas taugen erweist sich nicht, wo Sonntagsredner von politischer Streitkultur schwafeln, sondern in praktischen Belastungsproben.

Darf ein NPD-Mitglied Offizier oder Richter bleiben? Muß die Polizei einen Parteitag der „Republikaner“ vor Gegendemonstranten schützen? Beispiele finden sich nahezu täglich. Ob die begehrten Repressalien freilich demokratieverträglich sind, diese Kleinigkeit wird selten reflektiert. Unterdessen wachsen die Ausgrenzungsbedürfnisse – verständlich in einer Gesellschaft, die eine Serie fremdenfeindlicher Gewalt erlebt und aus deren politischer Mitte eine unselige „Ausländerfrage“ hochköchelt. Sind nicht die „geistigen Brandstifter“ besonders gefährlich? Muß nicht gerade ihnen unverzüglich das Schreibtischtäter- Handwerk gelegt werden?

Nehmen wir das jüngste Beispiel: „ausländerfeindliche“ Wahlkampfspots. Jobst Plog, NDR-Intendant und Vorsitzender der ARD, hat dagegen eine ehrenwerte Initiative gestartet, die erst vergangenen Sonntag den Beifall des Zentralrats der Juden in Deutschland fand. Staatsverträge und Landesrundfunkgesetze geben allen Wahlkämpfern das Recht auf gestaffelte Sendezeiten. Die durch Parteien- und Grundgesetz auferlegte Pflicht, keine politische Richtung zu diskriminieren, soll nun unterlaufen werden: Damit nichts „Ausländerfeindliches“ über den Äther geht, soll der Wahlkampf ganz und gar aus den Sendern verbannt werden. Die versammelten Intendanten appellierten kürzlich in diesem Sinne an den Gesetzgeber.

Sie wissen, daß auch Sendungen, die mehr oder weniger rabiat die Fremdenangst schüren, in der Regel nicht zurückgewiesen werden dürfen. An der Rechtsprechung bis hin zum Verfassungsgericht (das seinerzeit über revolutionäre Phrasen kommunistischer Sekten entschied) ist bislang mancher Versuch gescheitert, politisch anstößige Wahlwerbung zu unterdrücken. Die Ausstrahlung dürfe nur bei offenkundig strafbarem Inhalt verweigert werden; anderenfalls werde die Parteien- und Meinungsfreiheit verletzt.

Wer etwa „zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt“ und „zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert“, also Volksverhetzung im Sinne des Paragraphen 130 betreibt, begeht eine Straftat und hat kein Recht, sich dabei der Massenmedien zu bedienen. Wer indes mehr oder weniger subtil Vorurteile gegen Fremde schürt, mag politisch gefährlich sein, handelt jedoch im Schutzbereich von Grundrechten. Ergebnis: Feingesponnene Propaganda, gegen die es keine Handhabe gibt (und die bis weit in wohlsituierte Kreise Eingang findet), ist massenwirksam; brachiale fremdenfeindliche Hetze dagegen, die Strafgesetzen unterfällt (und meist auf neonazistische Sekten beschränkt bleibt), findet ohnehin wenig Anklang.

Die Plog-ARD-Initiative verfehlt solche Widersprüche. Sie verbindet einen Populismus von oben, der die grassierenden Antiparteienaffekte aufgreift, mit antidemokratischen Ressentiments. Ein herzensguter Zweck, der Schutz unserer ausländischen Mitbürger vor dumpfer Pöbelei, hält das Ganze zeitgeistgerecht zusammen. Warum nicht gleich das allgemeine Wahlrecht und die Meinungsfreiheit abschaffen, damit bloß kein Rechts„extremist“ unseren faulen öffentlichen Frieden stört? Das Ansinnen, jegliche Parteienwerbung auszuschließen, ist im übrigen scheinheilig; gerade die hiesigen öffentlich-rechtlichen Medien werden vom alles überwölbenden Parteienproporz beherrscht.

Dem lauen Begehren wird glücklicherweise kein Erfolg beschieden sein. Nicht, daß unsere Parteien über die Maßen sensibel für die Freiheit des Andersdenkenden wären – sie denken bloß nicht daran, auf die Indienstnahme der Massenmedien zu verzichten. Am Ende bleibt ein Alibi zur Pflege des guten Gewissens der Intendanten. So verlängert die Plog- ARD-Initiative die öde Kette politischer Ersatzhandlungen im Juste-milieu der Vergangenheitsbewältigung. Der Bankrott des hilflosen Antifaschismus dieser Provenienz wurde nie so offenkundig wie heute, da die Brand- und Mordlust frei flottiert und kaum berechenbar aufflackert.

Die vordergründige Plausibilität des gesamten Kanons fortschrittlicher Maulkorbpostulate lebt von einer fragwürdigen Unterstellung: dem Kurzschluß von politischer Agitation auf gewalttätiges Handeln Dritter. Dieser Kurzschluß ist zwar populär, wurde aber als kausaler Zusammenhang zwischen Wort und Tat noch nirgendwo empirisch nachgewiesen. Natürlich entwachsen fremdenfeindliche Attacken einem sozialen und politischen Klima; dafür aber haften alle Bürgerinnen und Bürger. Demokratische Spielregeln ermöglichen Zivilisiertheit, garantieren diese aber nicht.

Die Ausübung der Freiheitsrechte darf keiner Inhaltskontrolle unterworfen werden. Uferlose staatliche Zensur wäre die unvermeidliche Folge. Unter dem Schutz, ja sagen wir ruhig Deckmantel der verfassungsmäßigen Rechte ist es eben erlaubt, fremdenfeindliche Propaganda zu treiben – bis hart an die Grenze zur Volksverhetzung oder ähnlichen Straftatbeständen. In Fällen linker Propaganda sind solche Paragraphen, zu denen auch die „Verunglimpfung des Staates“ oder die Wehrkraftzersetzung nach den Paragraphen 90 a und 89 zählen, stets Gegenstand berechtigter Kritik gewesen. So stuften Gerichte die Schmähung von Polizisten und Staatsanwälten als Volksverhetzung ein. Das ist bemerkenswert, denn dieser Paragraph wurde neugefaßt, nachdem Ende der 50er jüdische Friedhöfe verwüstet und antisemitische Parolen gemalt worden waren.

Kommunikationsunrecht ist nie unproblematisch. Es gibt allerdings gute historische Gründe, Propaganda, die offen zu Haß und Gewalttaten aufreizt, unter Strafe zu stellen, also verbale Spitzenleistungen zu kriminalisieren. Im übrigen aber greift der unverkürzte Schutz der Grundrechte. Das mag schwer erträglich sein. Doch eine demokratische Gesellschaft muß agitatorischen Unfug verschiedenster Art aushalten. Die Freiheit auch des „bösen“ Wortes gehört zu jenen Lebenselementen der Demokratie, die sich alle Akteure des politischen Meinungskampfs wechselseitig zumuten müssen.

Wer Staatsübergriffe geflissentlich übersieht, wenn nur die Richtung irgendwie stimmt, verhindert die Ausbildung demokratischen Selbstbewußtseins. Der Ruf nach dem autoritären Tugendstaat wird nicht besser, nur weil er in „ausländerfreundlicher“ Absicht ertönt. Politische Freiheit ohne Risiko gibt es nicht. „Mehr Demokratie wagen“ heißt, die Meinungsfreiheit auch jener kompromißlos zu verteidigen, deren Politik man ebenso kompromißlos bekämpft. Horst Meier

Jurist und Autor, lebt in Hamburg