Nachschlag

■ Frostdeutsches Kabarett am Obelisk in Potsdam

Die Reise ging dorthin, wo die S-Bahn-Züge derzeit nur in unregelmäßigen Abständen hinfahren; dorthin, wo KabarettistInnen glattgeschniegelt und mit Stirnband auf sich aufmerksam machen, wo Pressekarten für die Presse keineswegs selbstverständlich sind und Pressematerial erst nach hartem Kampf ausgehändigt wird – nach der Vorstellung!

Das Potsdamer Kabarett am Obelisk ist „Die märkische Festung“: Eine miefige Wohnküche mit bräunlich verfärbter Blümchentapete samt Rosengobelin und Blumenspalier. An der Wand: die Urkunde zum 25jährigen Betriebsjubiläum, diverse Fotos von den Lieben, eine ausgeleierte braune Joggingjacke. Es soll Satire sein und riecht doch nur nach Sauerkraut, Pantoffeln und Bauerntheater. Aus dem Rahmen der Kleinbürgeridylle fallen allerdings zwei Kalaschnikows, die Sandsäcke vor dem Fenster sowie etliche Handgranaten in Körben, in denen sonst Zwiebeln und Äpfel gammeln.

Zunächst passiert nichts. Dann endlich kommt der Mann mit den grünen Breitkordhosen: Willy, der Akkordeonspieler. Er spielt Volkslieder, Stücker fünf oder sechs. Hätte der Abend nicht schon so denkwürdig begonnen, ich hätte nicht lachen müssen. Aber es lacht einfach aus mir heraus. Und gleich noch einmal, als nämlich der künstlerische Leiter der Truppe, Gisbert-P. Terhorst geblendet gegen das Licht blinzelt und im Prolog eröffnet, daß der kabaretteigene Hof wirklich nur „derb“ bespielbar sei. Und daß es jetzt eben „derb“ werden könne – auch wenn es im Saal, wohin man des Wetters wegen geflüchtet war, vielleicht... – „befremdlich“ wollte er offensichtlich nicht direkt sagen. – Da sitzen wir also im Saal, tatsächlich unter Regenschirmen, endlich geht es los. Krachledern – pardon: proletarisch, derb, deftig. Gegeben wird eine Moritat aus der Zeit nach dem „Raubfrieden von Bonn“ (1990); ein Hauen und Stechen um Grund und Boden. Dabei trennt die Elbe die guten und die schlechten Charaktere. Allerdings mit nachlassender Wirkung. Diverse Immobilienhaie und landnehmender Adel („geldgierig, geizig, geschlechtskrank“) sickern im Osten ein. Darum ist die proletarische Hütte auf der Bühne auch eine Festung, darum springen Opa (ein bewährter Agitator), Oma und Enkelin mit Munition und Handgranaten behängt über dieselbe. Draußen ein permanentes Krachen und Explodieren. Der Garten ist ein Minenfeld gegen die Westbande – hier in Gestalt eines John Wayne und einer Hare-Krishna-Jüngerin mit Tischtennisball-Brüsten; rote Quasten krönen „ihre“ nicht vorhandenen Sekundärmerkmale. Zu guter Letzt entpuppt sich das suspekte Westpaar als die nach drüben gemachte Tochter samt Ehemann, die Enkelin heiratet den adligen Altbesitzer mit marxistisch-leninistischer Ausbildung an der Sorbonne und Oma und Opa überlassen ihre Hütte für Millionen dem Straßenbau.

Augen rollen bis die Iris fast unter den Lidern verschwindet, Augenlider klappern, Lippen werden geschürzt, Hände posieren, Arme fuchteln. Der Witz kommt laut und polternd. Doch wo im Bauerntheater die Aktion über grobgeschliffenes Können und fehlenden Esprit „hinwegrettet“, besticht hier die Enkelin (Judith Steinhäuser) gerade mal mit ihrer Gesangsstimme und außerdem tröstet der delikate Gehalt der Lieder. Nur ein Beispiel: „Man sieht ihn überwintern in jedem warmen Hintern.“ Schade eigentlich: Es hätte nur ein bißchen mehr an Geist, aber vor allem viel mehr Mut zu Groteske und Kitsch gebraucht, um das Bauerntheater wirklich zu überwinden. Petra Brändle

„Die märkische Festung“, Dienstag bis Sonntag um 20Uhr im Kabarett am Obelisk, Schopenhauerstraße27, Potsdam.