Lebensgefahr am Bau

■ In diesem Jahr verunglückten elf Bauarbeiter tödlich / Schornstein-Tragödie: Bohlenbelag zu schwach für Menschen

Der gefährlichste Beruf in Berlin ist der des Bauarbeiters. Von den insgesamt 16 tödlichen Arbeitsunfällen, die in diesem Jahr zu beklagen waren, passierten 11 in den Bereichen Hoch- und Tiefbau oder in den Baunebengewerben wie Malerei. Die Zahl der Unglücke im Baugewerbe steige auch kontinuierlich, berichtete gestern die für den Arbeitsschutz zuständige Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) bei einer Besichtigung des Schornsteins im Heizkraftwerk Lichtenberg; Mitte Juli waren dort drei Arbeiter aus 135 Meter Höhe abgestürzt. So seien im vergangenen Jahr acht Bauarbeiter umgekommen, 1991 hingegen nur vier Menschen. Damit ist das Unfallrisiko in der Bauwirtschaft mehr als doppelt so hoch wie in der gewerblichen Wirtschaft, sagte Frau Stahmer, und bundesweit habe es sogar den Bergbau überholt. Die Senatorin will jetzt das Referat „Baugewerbeaufsicht“ beim Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit auf künftig 20 Aufsichtsbeamte erhöhen. Eine Ausgabe, die bei den Sparzwängen im Landeshaushalt nur zu Lasten der „Betreuungsintensität in anderen Bereichen geht“, angesichts der Todesstatistik aber unvermeidlich sei, sagte sie.

Unmittelbarer Anlaß der Pressekonferenz war der gemeinsame Untersuchungsbericht des Landesamts für Arbeitsschutz und der Bau-Berufsgenossenschaft über das Unglück im Heizkraftwerk Lichtenberg am 14. Juli. Die Ermittlungen bestätigten den ersten Verdacht, daß die Arbeitsbühne im Schornstein nicht sachgerecht zusammengesetzt war. Beim Herunterfahren der Arbeitsbühne in den breiteren Teil des Schornsteins sei der Bodenbelag der Plattform durch Annageln von Holzbohlen verbreitert worden. Mit „hoher Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen“, zitierte Frau Stahmer den Unfallbericht, daß dann die Belastung durch drei Menschen zu einem Abkippen der Holzbohlen führte und damit zum Absturz. Jetzt muß die Kriminalpolizei herausfinden, ob irgend jemandem ein konkreter Schuldvorwurf zu machen ist oder ob es sich um menschliches Versagen handelte.

Der Unfall im Heizkraftwerk war im Juli das schlimmste Unglück im Baugewerbe, aber nicht das einzige. Am 16. Juli stürzte ein Kranführer beim Abstieg aus der Krankanzel aus 30 Meter Höhe tödlich ab. Am gleichen Tag fiel ein Maler, der eine Straßenlaterne in fünf Meter Höhe strich, von einer fahrbaren Leiter. Er liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Vor einigen Tagen erst, am 27. Juli, stürzte ein Bauleiter im Wedding in eine acht Meter tiefe Grube. Er kam wahrscheinlich zu Tode, so das Arbeitsschutzamt, weil ein Haltegriff auf einer Leiter abgebrochen war. aku