■ Press-Schlag
: Verdienen? Verdienst?

Mal ehrlich, binden Sie jedem auf die Nase, was Sie verdienen? Nee, wir auch nicht. Ist auch nicht soviel. Im Sport ist's irgendwie anders. Früher sprach man über Zeiten, heute über Dollars. Und heute ganz besonders. Freitag in Gateshead: Zwei alternde Rennpferde gehen an den Start. Darf ich vorstellen? Nicht nötig. Trotzdem: Sie sehen zwei Olympiasieger, Carl Lewis, 32, Linford Christie, 33.

Auf die Plätze, fertig, los: Es ist das teuerste Rennen in der Leichtathletikgeschichte. Es dauert zehn Sekunden. Und es hat dazu geführt, daß Sportjournalisten Rechenschieber aus den Wirtschaftsredaktionen entführten. Machen wir mit und die Probe aufs Rechenexempel: Wieviel kostet Lewis am laufenden Meter? Wie teuer ist Christie sekündlich? Die Meterware ist nicht so beeindruckend: schlappe 2.600 Mark machen den Sprint- Opas schnelle Beine. Pro Sekunde hört sich's verdienstvoller an: 26.000 Mark. Für jeden.

Sie murmeln etwas von „Inflation“, „Rezession“? Schon richtig, andernorts sterben Meetings, in Koblenz zum Beispiel, weil Ebbe ist in der Kasse, weil Firmen klagen über konjunkturelle Flaute. Haben wir alles gehört, kennen wir doch vom Fußball. Ich sage nur Dortmund, arbeitslose Kumpel, Sammer, Riedle.

Indes Geld und Leichtathletik liefen seit Gründung der Internationalen Amateur Athletik Association (IAAF) anno 1913 Hand in Hand. Obwohl es niemand wahrhaben wollte. Man hatte sich edelmütig, letzlich genauso hochmütig, dem Amateurismus verschrieben. Was schlicht hieß: Ein Arbeiter konnte sich Sport nicht leisten. Dann gab's das erste und billigste Opfer: Jim Thorpe, der Indianer, dem man, weil er sich ein Taschengeld verdiente, seine beiden Goldmedaillen im Fünf- und Zehnkampf aberkannte. 1912. Fortan suchten Athleten die Amateurregeln zu umschiffen. Ein Spielchen für die Öffentlichkeit entwickelte sich: Wer enttarnt Opfer, Sünder, Täter?

1970 kam ans Tageslicht, daß Lee Evans, der zwanzig Jahre lang den Weltrekord über 400 Meter halten sollte, 1.000 Dollar Startgeld in Zürich forderte: Zehn Franken pro Meter! Merken Sie was? Die Zeiten ändern sich, die Dimensionen auch, das Spielchen ist dasselbe. Aber das Pseudo-Amateurwesen fiel, 1974 entstand die Olympische Zulassungsregel neu. Die Heimlichtuerei hatte ein Ende. Das Gerede nicht. Warum? Warum müssen Leichtathleten ihren Gehaltsstreifen jedem erklären? Just jene, die im Training ganz ordentlich schuften. Jene, die tun, was (fast) alle in dieser Gesellschaft machen: Ihren Marktwert ausloten? Verdienen? Verdienst?

Gateshead, am Freitag: Das Stadion ist ausverkauft. Die Zugpferde machen sich bezahlt. Verraten Sie mir jetzt, was Sie verdienen? coh