Die „Italian Connection“

Korruption als Stolperstein der indischen Regierung  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Indiens Minderheitsregierung hat am Mittwoch die erste von mehreren Mißtrauensabstimmungen überlebt. Premierminister Rao droht in der laufenden Sitzungsperiode des Parlaments vor allem wegen Korruptionsanklagen unter Druck zu geraten, wobei der schweizerische Gerichtsentscheid zur Herausgabe von Bankakten der Bofors-Affäre eine neue Aktualität gegeben hat.

Die Politiker, die am Montag das Parlament betraten, kamen an einer Gruppe von laut applaudierenden Anhängern vorbei. Jedoch: Über den Köpfen der Fans flatterte ein Banner mit der Aufschrift „Save the Corrupt“ und der satirische Auftritt warb für ein neues Gesetz, das jene Politiker begünstigen soll, welche dafür sorgen, daß das staatliche System „wie geschmiert“ funktioniert: Die Entgegennahme von „kleinen Beträgen“ bis zu zehn Millionen Rupien soll nicht mehr strafbar sein und Beamte, die in „trockenen“ Posten Dienst tun müssen, sollen eine Gehaltszulage bekommen. Die Regierung soll zudem 5.000 Rupien- Banknoten drucken, damit bei der Übergabe von Zahlungen nicht immer so große Koffer benötigt werden.

Schmiergeldzahlungen

Die soeben begonnene „Monsun“- Sitzungsperiode des indischen Parlaments macht wieder einmal die Korruption zum Hauptthema. Obwohl die Opposition der Kongreßpartei darin höchstens in Fingerfertigkeit nachsteht, hofft sie, die Regierung von Narasimha Rao damit stürzen zu können. Dies um so mehr, als Rao selber im Mittelpunkt einer „Schmieren“-Komödie steht, in der ein Koffer die Hauptrolle spielt, in dem Rao umgerechnet 300.000 Dollar entgegengenommen haben soll. Nachdem eine Zeitung vorgerechnet hatte, daß Banknoten im Wert von zehn Millionen Rupien in keinem Koffer Platz finden, produzierte der Überbringer des Geldes einen Riesenkoffer, der die 65 Kilogramm Papiergeld aufnehmen kann.

Die Einführung von großen Banknoten, so meinte deshalb die „Save the Corrupt“-Kampagne, würde das Problem der sperrigen Koffer lösen, die „unter dem Tisch“ nur schwer hin- und hergeschoben werden können.

Rechtzeitig zur Parlamentsdebatte ist auch der Entscheid des schweizerischen Bundesgerichts bekanntgeworden, daß die Empfänger der „Kommissionszahlungen“ beim Verkauf von Haubitzen der schwedischen Firma Bofors nun der indischen Untersuchungsbehörde bekanntgegeben werden sollen.

In diesem Fall von 1986 geht es bekanntlich um 80 Millionen Dollar. Noch bevor das Gericht die Bankauszüge dem „Central Bureau of Investigation“ übermitteln konnte, wurden die Namen jener Parteien bekannt, welche seit Jahren versucht haben, die Lüftung der Identität der Geldempfänger zu verhindern. Für die indische Öffentlichkeit war es ein leichtes, von diesen Namen auf die Empfänger selber oder deren Mittelsmänner zu schließen.

„Mr Q.“ in „Nähe zu R.“

Ein „Mr. Q.“ war bereits in den Notizbüchern eines Bofors-Vertreters aufgetaucht, und zwar mit dem Hinweis auf dessen „Nähe zu R.“. Obwohl hinter dem ersten Kürzel von Anfang an der in Indien lebende italienische Geschäftsmann Ottavio Quattrocchi vermutet wurde, war die schweizerische Bekanntgabe die erste offizielle Bestätigung der Verwicklung des Sizilianers. Da aber dieser in Indien Düngemittelfabriken verkauft und nicht mit Waffen handelt, stellte sich sogleich die Frage von Quattrocchis Interesse an der Enthüllung des Geschäfts. Eine Erklärung dafür war ebenso rasch zur Hand: die „Italian Connection“. Zwischen Quattrocchi und der Italienerin Sonia Gandhi besteht eine 25jährige Familienfreundschaft, die auch Schwiegermutter Indira einschloß. Damit konnte das Akronym „R.“ als Namensanfang von „Rajiv“ gelesen werden, und so scheint sich nun das seit Jahren gesponnene Netz von Hinweisen und Vermutungen allmählich um den damaligen Premierminister zu schließen, der nie müde wurde zu beteuern, „persönlich“ keine Gelder kassiert zu haben.

Rajiv Gandhi ist seit zwei Jahren tot, und die Märtyrerkrone, die ihm das grausige Selbstmord-Attentat aufgesetzt, wird die sich nun anbahnende Enthüllungswelle an ihm abprallen lassen. Aber Gandhi ist nach wie vor der Patron der regierenden Kongreß-Partei, und die Opposition wird versuchen, die Bofors-Zahlungen zusammen mit den Korruptionsvorwürfen an den Premierminister zur Guillotine zu schmieden, welche die Minderheitsregierung schließlich zu Fall bringen wird. Falls Rao die nun eingebrachten Mißtrauensanträge aber überlebt, dürfte die Quattrocchi-Verbindung seine Position in der Partei eher stärken. Denn die Witwe Rajiv Gandhis wurde bisher immer als alternatives Machtzentrum angesehen.

Obwohl sich Sonia Gandhi strikt aus den Parteiintrigen heraushält, ließ sie ihre Anhänger bisher gewähren, wenn diese ihre Person als Schutzschild benutzten, hinter dem sie den Premierminister beschossen. Die „Italian Connection“ könnte nun dafür sorgen, daß Frau Gandhi-Maino's „Indian Connection“ bald nur noch eine private ist.

In Indien wird wieder einmal über Korruption debattiert. Die angeblichen Schmiergeldzahlungen an den Premierminister und die neuen Enthüllungen in der Bofors-Affäre könnten Raos Minderheitsregierung zu Fall bringen.