■ Serie „Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes“, Teil 3
: Deserteurin und Saboteurin

Der Platz liegt da wie ein getrockneter Kuhfladen. Ein graues Oval, kahl bis auf ein paar dekorative Verkehrsschilder. Ein Viertel so groß wie der Parkplatz eines Supermarktes und nicht halb so ästhetisch. Auf dieser Wüstenei, mitten in einem belebten Stadtteil von Kassel, lebte „Emma Murks“ ihr kurzes und intensives Leben. Provisorisch und experimentell. Dann holte sie der Bagger.

Ein veritables Denkmal ist ein Gedächtnisspeicher der Macht. Erinnerung, oft genug politische Argumentation. Herrschafts-Zeichen in Erz und Stein, Propaganda für die dauernde Geltung der Werte. Und die sind patriarchal. Da hilft nur Widerstand.

Als auf dem Blocksberg die Hexen tanzten, schlich eine Gruppe von Kasseler Frauen durch die Walpurgisnacht. Am nächsten Morgen stand Emma Murks, „Die ungenannte Deserteurin und Saboteurin“ am Goethestern. Es war das Jahr des Golfkriegs, 1991. Auf einem Betonsockel schritt Emma kräftig aus, den platten Metallkopf nach vorne gerichtet, Arme und Beine in dynamischer Bewegung. Hinter sich ließ sie einen Einkaufswagen, Spül- und Klobürste, einen Kindernachttopf. Insignien der Ohnmacht. „Dieses Denkmal soll die Erinnerung an den geleisteten Widerstand unzähliger Frauen/ Lesben gegen Männergewalt + Krieg wachhalten + gleichzeitig Frauen Mut machen, sich diesem Widerstand anzuschließen“, stand auf Emmas lila Basis.

Da hatte sich widerständige Agitation als Denkmal verkleidet. Nicht schön, noch nicht einmal mit dem Anspruch des Kunstwerks, aber wirkungsvoll. „Diese häßliche Drahtpuppe ohne Gesicht!“ – „Ästhetisch total daneben!“ – „Der ideologische Hintergrund ist doch ziemlich arg!“ AnwohnerInnen im O- Ton. Jahrelang hatte der Platz brachgelegen, kein Baum, kein Strauch, stadtplanerisches Niemandsland. Immer wieder hatte der Ortsbeirat des Viertels Anläufe gemacht, den sogenannten Goethestern zu gestalten. Alle Versuche versandeten. Der Schotter blieb. Noch nicht einmal einen offiziellen Namen hat das Oval, in dem sechs Straßen auslaufen. „Goethestern“ euphemistelt der Volksmund poetisch. Jetzt hatten sich die Frauen den Platz genommen und gaben ihm einen Namen: „Platz der widerstandleistenden Frauen“. Die Begeisterung des Ortsbeirats hielt sich in Grenzen. Mehr Überlegung und künstlerische Betrachtung hätte der Stern wohl verdient, stichelten die Volksvertreter. Und ärgerten sich über die Frauenszene, die ihre Spontanaktion inszeniert hatte, ohne Politiker oder Bewohner zu fragen.

„Was dann dabei rauskommt, wissen wir doch“, argumentieren die Aktivistinnen. „Als Anfang der 80er Jahre in Kassel eine große Straßenumbenennung stattfand, kriegte nur eine einzige den Namen einer Frau.“ Immerhin, der Ortsbeirat ersparte Emma Murks das Schicksal des Ephemeren, die „flüchtige Verbindung des Ewigen mit dem Aktuellen“, wie Habermas so schön sagt. Ihr wurde Zeit gewährt bis zu einer endgültigen Gestaltung des in die Schlagzeilen geratenen Goethesterns.

Da stand sie nun, verkannt, verspottet, verschandelt. Als Kunstwerk mißverstanden, als Zeichen der Gegenmacht lächerlichgemacht. Aber beachtet. Das können nicht alle Denkmäler von sich sagen. Ihre Insignien waren ihr längst abhanden gekommen, Müll lag um ihren beschmierten Torso. Im letzten Jahr, zur documenta, bekam sie Besuch. Eine monumentale Steinschleuder, eine martialische Zwille mit Geschossen, baute ein documenta- Künstler neben ihr auf. Eine Waffe. Ausgerechnet.

Im Frühjahr diesen Jahres ließ der documenta-Künstler seine Installation entfernen. Ein Bagger mußte her, um den Betonsockel zu schleifen. Die Plastik heruntergenommen, zwei, drei Mal kräftig geruckt, da war er schon platt. Nur war der Baggerführer kein Kenner. Er hatte die Objekte verwechselt und Emma Murks die Basis weggebaggert. Ganz aus Versehen, leise und unspektakulär war sie hinüber. Ein Frauenschicksal? Nur Emma Murks. Bascha Mika

Am kommenden Montag: „Das Deutsche Eck“.