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Nebensachen aus TokioEin Hundeleben

■ Warum in Japan Hunde lauter als Menschen sein dürfen

Tokio (taz) – Ein jähes Schluchzen durchbrach die für eine Großstadt ungewöhnlich tiefe nächtliche Ruhe unserer Tokioter Nachbarschaft. Dann nahm das schrille Klagelied bis zu den frühen Morgenstunden kein Ende mehr. Schon erschienen uns die für gewöhnlich niederschmetternden Schreiorgien unseres einjährigen Sohnes als Gehörbalsam, verglichen mit dem nun einige Nächte lang wiederkehrenden Urgebrüll von nebenan. Was sollten wir nur tun?

Jegliche Beschwerde hätte mit absoluter Sicherheit zur Folge, daß unsere nächsten und liebsten Nachbarn ihr vier Monate altes Hundebaby sofort ins Tierheim verwiesen hätten. Und tagsüber war sichergestellt, daß unser Sohn keinen Ausgang ohne einen Besuch bei „Koume“ abschloß. „Kleine Pflaume“, das war doch auch ein hübscher Hundename. Einwände erschienen nunmehr zwecklos.

Nachts, während der zusätzlichen wachen Stunden, gab es nun reichlich Zeit, das japanische Lexikon zu wälzen: Canis familiaris, L., var. Japonicus nennt sich jene angeblich einzigartige japanische Hunderasse, der auch Koume angehört. Andere Hunde hat es in Japan nie gegeben. Erst als im letzten Jahrhundert die Ausländer nach Japan kamen, begann die Unordnung: „Die japanischen Sorten wurden mit ausländischen Züchtungen so vermischt, bis sie in reiner Rasse in die Gefahr des Aussterbens gerieten.“ Die allzu berechtigte Empörung ist an dieser Stelle sogar dem Lexikon zu entnehmen. Erleichtert stellt der Band daraufhin die Gründung der „Gesellschaft für die Bewahrung des japanischen Hunds“ im Jahr 1928 fest, der wir unseren neuen Nachbarn nun verdanken.

Mich aber überraschte die Nachricht von der Rettung des japanischen Hunds. Denn seit wann interessieren sich Japaner für ihren Hund? Muß nicht auch Koume 24 Stunden am Tag an der Kette vor seinem Plastikhäuschen im Matsch der Regenzeit hocken? Kein Wunder, daß die kleine Pflaume sich beklagt. Aber Hund und Herrchen und dieses ganze deutsche Spiel mit Tierliebe und Hundetreue will den Japanern nicht in den Sinn. Ins Haus läßt die Tiere in Japan sowieso keiner.

Vielleicht fehlte den Japanern das Edle am Hund? „Westliche Biologen betrachten den japanischen Hund gewöhnlich als einen primitiven Spitz oder Angehörigen der Paria-Hundefamilie, die sich seit langer Zeit vom Nahen Osten bis nach Ostasien verbreitet hat.“ Doch so einfach wie das japanische Lexikon macht es sich kein echter deutscher Tierfreund: Hatten wir die Japaner nicht immer schon im Verdacht, der Natur zu frönen und der Tiere zu höhnen? Richtig, das Lexikon vermerkt: „Der Verzehr von Hundefleisch wurde während der gesamten japanischen Geschichte offenbar nicht aufgegeben. Rötliche Hunde galten als geschmacklich am besten.“ Weshalb also haben die Hunde unserer Nachbarschaft fast alle ein rötliches Fell?

Jeder, der sich etwas mit Japan beschäftigt, muß lernen: Die Japaner waren in früher Zeit nie Jäger und schon gar nicht Fischer gewesen. Stattdessen bestellten sie ihren Reis und sammelten an der Küste Algen und Muscheln. Haustiere kannten sie kaum. Wer, im Ernst, kann den Japanern ob all der im Grunde unbekannten Lebewesen dann noch Tierliebe zumuten? Nichtsdestotrotz, und um die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken, hat die bekannte englische Zoologin Jo Stewart-Smith festgestellt: „Das japanische Volk hat immer wieder die Fruchtbarkeit, die Form, die Zauberkraft und die Traurigkeit der Natur bewundert und gepriesen, und dabei die Natur als dem Menschen ebenbürtig anerkannt.“ Also darf Koume in unseren Nächten weitertrauern, dem Sohn darin zweifellos ebenbürtig. Georg Blume

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