Schriften zu Zeitschriften
: Zugeschaut – mitgebaut!

■ 10 Jahre Querleser-Zeitschrift „kultuRRevolution“ – Blatt für Medien-User

kultuRRevolution ist die einzige deutsche Zeitschrift von fachübergreifendem Impetus, die sich nicht um ein Progamm, um Werte oder eine Institution gebildet hat. Sondern um eine Methode. Sie steht im Untertitel: „angewandte Diskurstheorie“. Diskurstheoretiker lehren uns bekanntlich, die Welt verstehen, indem sie uns lehren zu verstehen, wie wir uns die Welt verständlich machen. Die in diesem erkenntniskritischen Erkenntnisprogramm enthaltene Absage an die Unmittelbarkeit ist an sich nichts Neues; Diskurstheorie radikalisiert das Motiv der Unhintergehbarkeit des Symbolischen, das die moderne Skepsis schon lange umtreibt.

Das Beiwort des Untertitels ist berechtigt, wie auch das Heft zum zehnjährigen Bestehen zeigt; hier wird tatsächlich erprobt, was sich mit den Mitteln der Diskurstheorie zu den Dauerbrenner-Themen nicht nur dieser Saison sagen läßt – zur De-facto-Abschaffung des Asylrechts, zur Beteiligung der Deutschen an militärischen Weltpolizeieinsätzen, zur Verwirrung der Rechts-Links-Spiele in der Politik. Die besten der Beiträge betätigen allerdings nicht das diskurstheoretische Vokabular als ein für allemal feststehendes Instrumentar, sondern liefern jeweils selbst neue Werkzeuge, die darauf warten, von den LeserInnen erprobt zu werden.

Merkwürdig: Ginge es auf dem Zeitschriftenmarkt nach dem Gebrauchswert, dann müßte sich kultuRRevolution so häufig verkaufen wie jene User-Zeitschriften für Neue Medien, deren hermetische Fachterminologie sich Hunderttausende LeserInnen ohne Klagen freiwillig antrainieren. kultuRRevolution ist nämlich – sozusagen als Fachblatt für Vielnutzer von Medien aller Art – von enormer Nützlichkeit: Man lese etwa die fabelhaft recherchierte Analyse von Heike Buse zum „Reizwort Drückeberger“, das als Bezeichnung für „Single- Subjekte“, „Kollektive Subjekte“ und „Staats-Subjekte“ verwandt wird und vor allem in der gegenwärtig grassierenden Rede von der gestiegenen „deutschen Verantwortung“ herumgeistert. Man sieht hier der Phrasensprache beim Entstehen zu; Heike Buse führt vor, wie es dazu kommt, daß das von ihr porträtierte Wort am Ende seiner Karriere gleichzeitig die Absenz deutscher Truppen im Golfkrieg und die Unwilligkeit der deutschen Arbeiter an der Produktionsfront bezeichnet.

Ebenso nützlich ist die ausführliche Chronik „zum langen Marsch der Bundeswehr in die Dritte Welt“, ein Register der Stationen, beginnend im Jahre 1964, die dem nun bereits – Bodo sei dank! – literarisch fruchtbar gewordenen Ostafrika-Abenteuer unserer Jungens vorausgingen.

Ulrich Bröckling widerspricht in seinen zwölf Thesen zum „Spiegelspiel der Politik“ der Meinung, daß das Rechts-Links- Schema ausgedient habe: „Die einzelnen Bestimmungen ändern sich, das Prinzip der Bipolarität bleibt. Wichtiger als die Konstanz des Programms ist die Grenzziehung zum Gegner. (...) Rechts- Links-Schema und bürgerlicher Staat gehören zusammen. (...) Die Mitte ist leer; die politische Vergesellschaftung der Individuen erfolgt als Vermittlung ohne Vermittler.“

Jürgen Link, einer der führenden Köpfe und Mitherausgeber, zieht in seinem Editorial Bilanz über 10 Jahre „aktualhistorischer“ Arbeit und bietet gleichzeitig einen „Miniresistenz-Baukasten“; Widerstand nach dem Muster „Zugeschaut-mitgebaut“. Es gehe weiterhin, heißt es im Jargon der Zeitschrift „um Diskurstaktiken, die es erlauben, nichthegemoniale Alternativen symbolisch aus der ,Extremzone‘ herauszubekommen.“ Was allerdings nicht ganz einfach ist, denn: „Wenn ich deutsche Wüstenstürme fordere, reicht mir ein Bischofskäppi oder notfalls ein einfacher Schnurrbart, um in die Tagesschau zu kommen. Wenn ich dagegen bin, wird selbst genialen Argumenten plus Vollbart entgegengehalten werden, daß „aus dieser Position längst die Luft raus ist.“ Jörg Lau

„kultuRRevolution“, Nr.28. Herausgegeben von Jürgen Link und Rolf Parr in Zusammenarbeit mit der Diskurs-Werkstatt Bochum. Kontakt: Diskurs-Werkstatt Bochum, Düppelstraße 35, 44789 Bochum, Tel.: 0234/ 300110 oder: Klartext Verlag, Dickmannstraße 2-4, 45143 Essen, Tel.: 0201/ 86206-31/32 Fax:-22